Jeder Abzuschiebende hat einen Polizisten als Begleitung – Zum Flüchtlingspakt mit der Türkei

Ab Montag will die Türkei Migranten zurückschicken, das griechische Parlament hat die entsprechenden Gesetze am Freitag ratifiziert. Mit dem Abkommen wird die Türkei praktisch zum sicheren Drittstaat erklärt - eine Zusammenfassung.
Titelbild
Syrische Flüchtlinge in der griechischen Hafenstadt Piräus. Hier sollen inzwischen knapp 6000 Menschen auf ihre Weiterreise warten.Foto: Simela Pantzartzi/dpa
Epoch Times3. April 2016

Das griechische Parlament hat ein entsprechendes Gesetz am Freitagabend ratifiziert. An diesem Montag sollen nun die ersten Flüchtlinge zurückgeschickt werden.

Doch „Wie wir diese Leute, darunter auch die vielen Kinder mit ihren Müttern, aus diesem Chaos rauspicken sollen, ist mir ein Rätsel“, sagt der Offizier der Küstenwache.

Jeder Migrant hat einen Polizisten als Begleitung

Auf den Inseln der Ostägäis sind seit dem 20. März etwa 5000 Migranten und Flüchtlinge eingetroffen. Alle, die seit diesem Stichtag illegal aus der Türkei gekommen sind, sollen zurückgeschickt werden.

Laut Athener Regierungskreisen planen die europäische Grenzagentur Frontex und die griechische Küstenwache, am Montag, Dienstag und Mittwoch zunächst insgesamt 750 Menschen an Bord von zwei Touristenschiffen in die Türkei zu bringen – unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen: Für jeden Migranten soll ein Polizist als Begleitung abgestellt werden.

Die EU-Sicherheitsexperten haben einen Plan ausgearbeitet, wer als Erstes wie und wann ausgewiesen werden soll. Demnach sind es am Montag zunächst rund 200 Menschen aus dem Internierungslager von Moria auf der Insel Lesbos.

Es soll sich um jene handeln, die keinen Asylantrag stellen wollten oder aus Staaten stammen, die als sichere Drittländer gelten – etwa Marokko, Algerien, Tunesien oder Pakistan, heißt es aus Kreisen der Küstenwache.

Wie diese Menschen aus dem Lager in Moria herausgeholt werden sollen, darüber schweigen die Sicherheitsexperten. Derzeit halten sich dort mehr als 3000 Menschen auf; griechische Sicherheitskräfte bezweifeln, dass sich die betreffenden 200 aus diesen vielen Menschen heraus einfach so abführen lassen.

Gelingt es jedoch, dann geht es anschließend in Bussen zum Hafen der Inselhauptstadt Mytilini. Alle Migranten werden am Hafen umgehend an Bord des von griechischen Behörden gemieteten türkischen Touristenboots „Nazli Jale“ gebracht. Danach geht es geradewegs zum 28 Kilometer entfernten türkischen Hafen Dikili. 

Bis zu 72.000 Syrer will die EU aufnehmen

Im Zentrum steht ein Tauschhandel. Die EU schickt illegal eingereiste Flüchtlinge und andere Migranten zurück in die Türkei. Für jeden Syrer, den die EU abschiebt, soll gleichzeitig ein anderer Syrer von den EU-Staaten auf legalem Weg aufgenommen werden.

Bis zu 72 000 Syrer will die EU aus der Türkei auf diesem Wege aufnehmen. Das soll die Menschen davon abhalten, mit Hilfe von Schleppern nach Griechenland überzusetzen.

Nach Informationen aus Kreisen der Küstenwache soll es mehr als 600 Migranten auf den griechischen Inseln geben, die kein Asyl beantragt haben. „Die werden wohl als erste dran sein“, sagt ein Offizier der Küstenwache. Danach würden die anderen folgen. „Nachdem ihre Asylanträge abgelehnt wurden“, fügt der Offizier hinzu.

Asylantrag im Schnellverfahren

Wer einen Asylantrag stellt, soll im Schnellverfahren die Antwort bekommen. Mitarbeiter humanitärer Organisationen kritisieren dieses „Hauruckverfahren“. In der Regel dauert in Europa ein Asylverfahren mehrere Monate.

Asylexperten aus anderen EU-Staaten sollen zusammen mit den wenigen griechischen Asylrichtern die Entscheidungen treffen. Viele sind aber noch nicht da, und die wenigen, die da sind, wissen noch nicht, wo sie arbeiten sollen.   

Übergangsstellen: Lesbos – Dikili, Chios – Cesme

Von der Insel Lesbos sollen die Menschen zum gegenüberliegenden türkischen Hafen von Dikili, von der Insel Chios zum türkischen Cesme gebracht werden.

Eine dritte Variante ist der Grenzübergang am Fluss Evros (türkisch Meric) bei Kipoi-Ipsala im Nordosten Griechenlands.  

Viele Einwohner von Chios, die den Migranten geholfen hatten, sind besorgt. „Hier hat der (griechische) Staat praktisch aufgehört zu existieren“, sagt Giannis Tzoumas, ein Journalist aus Chios, der einen der lokalen Radio- und Fernsehsender leitet. 

Die Regierung habe die Übersicht verloren, die Migranten machten auf Chios, „was sie wollen“. Sogar die Fähren werden umgeleitet, damit die Migranten nicht an Bord gelangen und nach Athen reisen können. Sie legen jetzt für den normalen Passagierverkehr auf der westlichen Seite der Insel im kleinen Hafen von Mestá an.

Was befürchtet Griechenland?

Die Behörden befürchten Gegenwehr, Ausschreitungen und Schlimmeres. Auf der Insel Chios sind bereits rund 800 Flüchtlinge, in ihrer Mehrheit Syrer, aus einem Auffanglager ausgebrochen. Sie harren seitdem am Hafen von Chios aus in der Hoffnung, eine Fähre nach Athen besteigen zu können. „Athen, Athen“ und „Deutschland, Deutschland“ skandieren sie immer wieder, sobald sie einer Reporter sehen.

„Ich werde mich ins Meer werfen, wenn die Polizei mich holt, um mich in die Türkei zu bringen“, sagte ein junger Syrer am Sonntag im Fernsehen. Auch Sicherheitsexperten sehen das Problem: Die Menschen, die abgeschoben werden sollen, sind in ihrer Mehrheit dem syrischen Bürgerkrieg entkommen.

Die Stimmung unter den Migranten ist explosiv. Mantraartig wiederholen sie: „Tötet uns lieber gleich hier, statt uns zurück in die Türkei zu schicken.“

Andere flohen vor den Taliban in Afghanistan. „Sie haben ihr Leben riskiert“, sagt ein Offizier der Küstenwache. Eine Rückkehr ist für viele unvorstellbar. „Wer holt sie dann aus den Lagern raus“, fragen Sicherheitsleute. Die Nerven unter vielen Migranten liegen ohnehin blank.

Ist die Türkei ein sicherer Drittstaat?

Es gibt erhebliche Zweifel, dass die Türkei tatsächlich ein sicheres Drittland ist.

Amnesty International beklagte bereits, der Flüchtlingspakt weise „fatale Mängel“ auf. Die Organisation berichtet, die Türkei schiebe täglich Migranten und Flüchtlinge nach Syrien ab – was Ankara bestreitet.

Schleuser suchen nach Alternativrouten

Zurzeit gibt es von Tag zu Tag Schwankungen. Es kommen aber zurzeit bedeutend weniger Flüchtlinge und andere Migranten nach Griechenland als im Vormonat.

Die Schleuser suchen bereits nach Alternativrouten in Richtung Italien.

Vor wenigen Tagen flog eine Schleuserbande im Westen Griechenlands auf: Für rund 7000 Euro pro Kopf flog sie Migranten von einem kleinen westgriechischen Flugplatz direkt zu einem Flughafen in der Nähe der süditalienischen Stadt Lecce. 

Bleibt abzuwarten, ob der gewünschte Effekt des Flüchtlingspakts irgendwann eintritt. Am Wochenende haben, unbeeindruckt von der europäischen Rückführungsaktion, wieder mehr als tausend neue Migranten aus der Türkei zu den griechischen Inseln übergesetzt. (dpa/dts)



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion