„Du hast dir die falsche Stadt ausgesucht, Bruder!“ – Eine unvollkommene Kommentarschau nach dem Anschlag in Berlin

Eine Presseschau sollte immer verschiedene Aspekte abbilden, in diesem Fall sind es Kommentare zu dem Anschlag in Berlin am 19. Dezember – vom 20. bis 23. Dezember. Wir haben die Links zu den vollständigen Kommentaren hinzugefügt.
Titelbild
Am 22. Dezember wurde der Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche in Berlin wieder geöffnet und schwer bewaffnet bewacht.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Epoch Times26. Dezember 2016

DIE WELT schreibt am 20. Dezember: Warum dieser Kommentar so kurz ausfällt – Von Ulf Poschardt

Der Fahrer des Todestrucks ist noch immer nicht gefasst. Dass Kritiker der Flüchtlingspolitik in sozialen Netzwerken dennoch sofort Schuldzuweisungen posten, ist unerträglich.

[…] Verunsicherung ist Hauptziel der Terroristen. Vereinfachung ist Hauptziel der ideologischen Wellenreiter des Terrors. Behutsamkeit in der Beurteilung der Lage ist Aufgabe der aufgeklärten Mitte dieses Landes. Der Anschlag von Berlin am Montagabend ist, Stand Dienstag, 14 Uhr, nicht aufgeklärt. Der Täter allem Anschein nach nicht gefasst.

Vorverurteilungen und Schuldzuweisungen aber waren seit den ersten Blitzmeldungen von dem fürchterlichen Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt sofort zu lesen. In den sozialen Netzwerken ließen es sich die Kritiker der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel nicht nehmen, die Toten als die Toten der Kanzlerin auszuflaggen. Hervorgetan hat sich einmal mehr die vermeintliche Alternative für Deutschland. […]

https://www.welt.de/debatte/article160469967/Warum-dieser-Kommentar-so-kurz-ausfaellt.html

DIE ZEIT am 21. Dezember: Erstaunliche Angstresistenz – Von Peter Dausend

Nach Anschlägen schlägt die Stunde der Hetzer: Bild warnt vor Angst! Die AfD twittert sich in Ekstase. Natürlich macht Seehofer mit. Allein: Die Bürger sind klüger.

[…] Die einen wollen politischen Profit aus dem Anschlag ziehen – und die anderen verbreiten Panik. Von „ANGST“ in halbseitiger Aufmachung ist in den Boulevardmedien die Rede, von einer verunsicherten Bevölkerung, von Menschen, die sich nicht mehr in die Öffentlichkeit trauten.

Nur: Wer in den Tagen nach dem Anschlag auf Berlins Straßen unterwegs ist, spürt diese Angst nirgends. Man trifft allerorts auf Mitgefühl mit den Opfern, auf Nachdenklichkeit, von Panik keine Spur. Die Berliner bleiben gelassen, zeigen eine erstaunliche Angstresistenz, sind eher trotzig. Die Angst, die man beschreibt, will man durch solche Artikel offenbar selbst erzeugen. Weil Angst sich besser verkauft und höhere Quoten bringt als Gelassenheit.

http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-12/anschlag-berlin-afd-horst-seehofer-hetze-panik

DIE HUFFINGTON POST am 22. Dezember: Britischer Moderator hat eine Botschaft an alle, die Merkel jetzt für ihre Flüchtlingspolitik kritisieren

Man muss es so deutlich sagen: Die Reaktionen nach dem Anschlag von Berlin waren vorhersehbar: Noch bevor in Berlin das Blut getrocknet war, sprach die AfD bereits von „Merkels Toten“ und CSU-Chef Horst Seehofer forderte voreilig eine Neujustierung der Flüchtlingspolitik.

Die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin dürfte in den nächsten Tagen das bestimmende Thema in Berlin sein. Teile der ausländischen Medien orakeln bereits: „Die AfD spricht von ‚Merkels Toten‘, und dies ist wohl nur der Anfang.“

„Merkels Politik war der effektivste Schlag ins Gesicht des IS“

Doch nicht überall begegnet man Deutschlands Politik der offenen Arme aus dem vergangenen Jahr mit so viel Skepsis. Der Journalist James O’Brien hat am Tag nach dem Anschlag am Breitscheidplatz beim britischen Radiosender LBC deutliche Worte für Merkels Kritiker gefunden.

Merkels Flüchtlingspolitik sei „der mit Abstand effektivste Schlag ins Gesicht des IS“ gewesen, entgegnet O’Brien all denen, die den Anschlag von Berlin jetzt mit Deutschlands Willkommenskultur in Verbindung bringen.

„Merkels Politik war effektiver als jede Bombe, die über die IS-Hauptquartiere abgeworfen worden wäre“, sagt der Moderator. Merkel habe die Rhetorik und die Propaganda des IS mit ihrer politischen Linie völlig untergraben.

http://www.huffingtonpost.de/2016/12/21/britischer-moderator-berlin-anschlag-merkel_n_13764944.html

DIE TAGESSCHAU am 23. Dezember: Kommentar von Michael Stempfle im ARD Hauptstadtstudio

Der Anschlag von Berlin hatte das Ziel, die Gesellschaft zu spalten – doch die meisten Menschen reagierten gefasst. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn der Fall Amri wirft viele Fragen auf. Die Regierung muss jetzt schnell Antworten liefern, meint Michael Stempfle im ARD Hauptstadtstudio.

https://www.tagesschau.de/inland/tt-stempfle-kommentar-amri-101.html

DER MERKUR am 23. Dezember: Fahndung mit Pannen von Mike Schier

Die Berliner Polizei gab schon kurz nach dem schrecklichen Attentat am Montagabend Entwarnung, weil sie mit einem Pakistani den vermeintlichen Attentäter geschnappt zu haben glaubte. „Man muss keine Angst haben“, versicherte der Regierende Bürgermeister Michael Müller noch am Dienstagmorgen, als es schon massive Zweifel an der Schuld des Mannes gab. Am Mittag gab Müller dann mit der Polizei eine Pressekonferenz, bei der diese Zweifel erst nach einer halben Stunde und auf Nachfrage bestätigt wurden. Ab Mitternacht suchte man schließlich einen tunesischen Salafisten mit einer einschlägigen Gefährder-Vorgeschichte. Die Bevölkerung erfuhr davon einen halben Tag später – und gleich auch noch von der bevorstehenden Razzia. Wegen Schreibfehlern in den Durchsuchungsbeschlüssen kamen Journalisten vor der Polizei.

Schon klar: Die Fahnder arbeiten unter extremen Bedingungen. Und richtig ist auch, dass Behörden die Angst nicht schüren, sondern deeskalieren sollen. Doch entscheidend für das Sicherheitsgefühl der Bürger ist nicht, ob Politiker möglichst viel Gelassenheit vortäuschen. Entscheidend ist die Effektivität der Sicherheitsbehörden. Und egal, wie groß die Schuld des Tunesiers Anis Amri am Anschlag schließlich war: Die Details seiner Geschichte, die am Mittwoch durchsickerten, und die Fahndung werfen massive Zweifel an dieser Effektivität auf.

https://www.merkur.de/politik/kommentar-nach-anschlag-von-berlin-fahndung-mit-pannen-7162698.html

DER FOCUS am 22. Dezember: Nach Berlin-AnschlagSeehofer fühlt sich missverstanden

Der CSU-Chef und bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer fühlt sich von seinen Kritikern falsch verstanden. Seehofer sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, es sei kein Fehler gewesen, nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt die Sicherheits- und Flüchtlingspolitik auf den Prüfstand zu stellen.

„Viele von denen, die sich geäußert haben, wollen auch irritiert sein, wenn etwas aus Bayern kommt“, hielt er seinen Kritikern vor. Er habe nach dem Amoklauf in München und den beiden Attentaten in Würzburg und Ansbach immer gleichermaßen reagiert.

http://www.focus.de/politik/deutschland/nach-berlin-anschlag-kommentar-zu-fluechtlingspolitik-seehofer-fuehlt-sich-von-kritikern-missverstanden_id_6391041.html

DIE BERLINER ZEITUNG am 23. Dezember: Brigitte Fehrle – Was ist? Was hilft?

Verzicht auf Profilierung: Wie entflieht man diesem reflexhaften Verhalten? Es gibt nur einen Weg. Die Parteien müssten nun auf parteipolitische Profilierung zu verzichten. Sie müssten sich verhalten wie gute Ärzte. Sie müssten fragen: Was ist? Und dann: Was hilft?

Vielleicht werden wir überrascht, vielleicht ist die Erschütterung der Politik nicht nur eine, die nachlässt, wenn Schmerz und Trauer vergehen. Vielleicht durchbrechen sie die eingeübte Logik und verstehen, dass auch dies ein Ziel der Terroristen ist: Dass wir uns uneins sind und damit schwach. Aber verlassen wir uns nicht auf die Klugheit der Politik. Sortieren wir die Dinge selbst und vor allem: Lassen wir uns keine vermeintlich schnellen, wirkungsvollen Maßnahmen aufschwatzen, die sich dann als politische Placebos herausstellen.

http://www.berliner-zeitung.de/politik/meinung/kommentar-zum-anschlag-am-breitscheidplatz-was-ist–was-hilft–25362112

KenFM am 23. Dezember: Ken Jebsen – Ausweise als Beweise

[…] Warum nimmt ein Terrorist seine Duldungspapiere mit an den Tatort? Wie glaubwürdig ist es, dass er sie ausgerechnet IM LKW liegen lässt, dann aber so unterbringt, dass die Polizei sie erst Tage später findet?

Lagen die Papiere auf dem Boden? Hatte der mutmaßliche Attentäter sie extra hinter die Sonnenblende geklemmt? Waren sie ihm zwischen Fahrersitz und Schaltung gerutscht?

[…] Wie oft wollen uns die Behörden noch die Geschichte vom verlorenen Ausweis verkaufen? Warum sind es stets mutmaßliche Täter mit arabischem Hintergrund, deren Verhältnis zu staatlichen Dokumenten so lässig ist, während RAF und NSU hier über Jahre penibel darauf achten, es den Behörden so schwer wie möglich zu machen? Bekennerschreiben oder schriftlich festgehaltene politische Forderungen scheint es bei Terroristen mit arabischem Hintergrund nicht zu geben. Alles, was wir auch im Fall Anis Amri erzählt bekommen ist, dass er kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Leben den Standard-Spruch gerufen haben soll: „Allahu Akbar“..

https://kenfm.de/ausweise-als-beweise/

DIE WELT am 20. Dezember: Jennifer Wilton – Die können uns mal

[…] Es ist der Ton, der sich an vielen Stellen in der Stadt verbreiten wird in diesen Tagen, es ist der Ton, den die Berliner gerne hören. In den ersten 24 Stunden, scheint es, als seien Worte vorgesehen worden, zum Beispiel von den vielen Reportern, die inzwischen am Breitscheidplatz mit ihren Kameras stehen, Worte wie: Schockstarre, Lähmung, Fassungslosigkeit, Angst. Aber die Berliner halten sich nicht daran, sie antworten mit Sätzen: Muss ja weitergehen, nützt ja nüscht. Oder eben: Die können uns mal. Sie antworten damit, dass sie ziemlich genau das machen, was sie sonst auch machen. Zum Beispiel am Abend ins Olympiastadion zu gehen, zu Hertha. Leerer sind nur ein paar Orte, wo die Touristen sonst meistens sind, Unter den Linden, Nikolaiviertel, Mitte eben.

http://hd.welt.de/politik-edition/article160584360/Die-koennen-uns-mal.html

Jennifer Wilton schreibt weiter: Ungefähr zur gleichen Zeit verbreitet sich ein Video im Netz, es kommt von einem beliebten YouTuber aus Berlin-Reinickendorf, tiefer Nordwesten. Rayk Anders steht darin vor der Gedächtniskirche und sagt: „An das feige Stück Scheiße, das am Lenkrad saß: Egal, wo du herkommst, egal, wo du bist, du hast dir die falsche Stadt ausgesucht, Bruder.“

https://www.youtube.com/watch?v=hUH3lDOc8BE

Zusammengestellt von Renate Lilge-Stodieck



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