Clinton fordert „offene Grenzen“ in Wallstreet-Reden auf Wikileaks: Sanders-Wähler wütend

Am Freitag wurden brisante Transkripte von Hillary Clinton auf Wikileaks veröffentlicht, die die demokratische Präsidentschaftskandidatin sehr wallstreet-freundlich zeigen und einige politische Positionen enthüllen, die sie derzeit im Wahlkampf ganz anders darstellt. Kurz darauf brach der Video-Skandal über Donald Trump herein und die Medien stürzten sich ausschließlich auf diesen.
Titelbild
US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton hat durch die Wikileaks-Veröffentlichung junge Wähler eingebüßt.Foto: Chip Somodevilla/Getty Images
Von 9. Oktober 2016

Bei der Enthüllung auf Wikileaks geht es um Transkripte ihrer Reden an Wallstreet-Vertreter – Reden und Vorträge für die Hillary Clinton mit bis zu 250.000 Dollar pro Stunde bezahlt wurde – und bei denen die Demokratin offensichtlich eine ganz andere Haltung zeigt, als bei ihren aktuellen Wahlkampfauftritten.

Das Leak besteht auf 80 Seiten aus „brisanten Zitaten“, die bei verschiedenen Anlässen fielen, jeweils im Datum und Anlass sowie im Kontext belegt. Die Zitate selbst entstammen 2.000 Emails, die vom Gmail-Account des Clinton-Beraters John Podesta gehackt worden seien, so Wikileaks-Gründer Julian Assange in seiner Ankündigung des Leaks.

Brisante Inhalte

Weder Wikileaks, Podesta noch Clintons Wahlkampf-Team äußerten sich auf Bloomberg-Nachfragen zum Ursprung und der Authentizität der Zitate, in denen Clinton sich eine „Hemisphäre mit offenem Handel und offenen Grenzen“ ausspricht. Auch sagte sie, dass man die Urheber der Finanzkrise 2008 lediglich aus „politischen Gründen“ zur Verantwortung ziehen müsse. Die Wallstreet brauche keine Regulierung von außen, sondern sollte sich am besten selbst regulieren.

„Mein Traum ist ein gemeinsamer Markt in der gesamten Hemisphäre, mit offenem Handel und offenen Grenzen, in einer Zukunft mit grüner, nachhaltiger Energie (…) Wachstum und Chancen für jeden in der Hemisphäre.“ (Zitat Hillary Clinton)

Die Enthüllung berührt direkt Clintons Glaubwürdigkeits-Problem, dass einige Wähler sehen. Und in dem Leak gibt es Wasser auf deren Mühlen mit dem Ausspruch, man müsse „einen öffentlichen und einen privaten Standpunkt“ haben, damit die Leute bei gewissen „Deals“ nicht zu „nervös“ werden. Auch erklärte Clinton, „weit weg von den Problemen der Mittelklasse“ zu sein, angesichts der Vorzüge, die sie und ihr Mann genießen würden. Und sie schlug vor, China mit einem Raketenabwehrschirm „einzukreisen“, falls das Land nicht genug Druck auf Nordkorea wegen dessen Atomwaffen ausübe.

Auch dass sie von großzügigen Wahlkampfspenden der Wallstreet abhängt wird in dem Leak klar. Als Clinton 2008 bei einer Goldman Sachs-Veranstaltung eine Frau traf, die sagte, sie habe Geld für ihren Wahlkampf gesammelt, antwortete Clinton: „Ihr seid die Klügsten.“

Clintons Team gibt Russland die Schuld

Aber interessanterweise stellte Clinton das Leak inhaltlich nicht mal in Abrede, wie „Bloomberg“ berichtete. Ihr Sprecher Glen Chaplin versuchte stattdessen, den Verdacht auf Russland zu lenken. Er sagte: „Wir werden die Authentizität der gestohlenen Dokumente nicht bestätigen, die Julian Assange veröffentlicht hat, welcher kein Geheimnis daraus machte, dass er Hillary Clinton schaden will.“ Doch hätten frühere Veröffentlichungen „bereits bestätigt, dass Top-Sicherheitsbeamte mit ihren Warnungen Recht hatten, wonach Dokumente von Russland gefälscht werden können als Teil einer ausgeklügelten russischen Desinformationskampagne.“

Buchstäblich Minuten bevor die „Podesta Files“ auf Wikileaks herauskamen, beschuldigten die USA offiziell Russland eines Hacker-Angriffs auf das politische Establishment, merkte der Finanzblog „Zerohedge“ an.

Trumps Sprecher sagte zum Clinton Leak: „Jetzt haben wir endlich die Bestätigung für Clintons katastrophale Pläne, die Grenzen völlig zu öffnen und Amerikas Einfluss in der Welt zu verringern. Dass Clinton diese hochbezahlten Reden im Geheimen hinter verschlossenen Türen hielt, hatte einen Grund – ihre wahren Absichten zerstören die amerikanische Souveränität, die wir kennen, was weiter veranschaulicht, warum Hillary Clinton einfach ungeeignet ist, Präsidentin zu werden.“

Die Explosivität des Clinton-Leaks verpuffte in Medien jedoch weitgehend, weil gleich darauf die nächste mediale Bombe platzte, diesmal gegen Clintons republikanischem Widersacher Donald Trump: In einem Video von 2005 spielte sich der Multimilliardär verbal als hemmungsloses Sex-Monster auf. Ein neuer Aufschrei über Trumps oft thematisierten Sexismus und Frauenfeindlichkeit erfüllte die Medien und lenkte von Clintons Problemen ab …

Anhänger von Bernie Sanders „kochen“

Trotzdem gibt es eine Nachwirkung, die Clinton direkt schaden könnte – die Anhänger ihres demokratischen Mitbewerbers Bernie Sanders nämlich „kochen“ vor Wut, wie „Reuters“ berichtete. Sie „brachten Ärger zum Ausdruck und fühlten sich gerechtfertigt“ angesichts Clintons Aussagen gegenüber Banken und Großkonzernen, die „ihre Befürchtungen bestätigten“, dass Clinton globalen Handel unterstütze und sich der Wallstreet anbiedere, so „Reuters“.

Um die Präsidentschaft zu bekommen, ist Clinton auf die Sanders-Fans angewiesen – jene „Koalition der jungen und linksgerichteten Wähler“, die keine globalistischen Handelsabkommen und mächtigen Großbanken mögen. Clinton hatte hier im Wahlkampf ihr Fähnchen nach dem Wind gehängt, um die skeptischen „Millenials“ (Wähler um die 20) einzusammeln.

Diese sehen nun Erklärungsbedarf:

Tobita Chow, Vorsitzender der „People’s Lobby“ in Chicago, die bei den Vorwahlen Sanders unterstützt hatte, sagte laut „Zerohedge“: „Die Progressive Bewegung muss von Secretary Clinton eine Erklärung fordern, wo sie wirklich steht bei diesen Themen und da müsste es dann sehr klare Distanzierungen von den Positionen geben, die in diesen Transkripten veröffentlicht wurden.“

Die Jugend, die ausschlaggebend für Sanders Erfolg war, schreibt nun auf Facebook Dinge wie: „Bernie hatte Recht mit Hillary, sie ist eine Wallstreet-Marionette“ – (Userin Grace Tilly laut Reuters).

Zerohedge“ fand es interessant, dass Sanders, der Clinton wegen ihrer Nähe zur Wallstreet attackiert hatte, nun trotz der Enthüllungen eisern zu ihr hält: „Was auch immer Ministerin Clinton hinter verschlossenen Türen an der Wall Street gesagt oder auch nicht gesagt hat, ich bin fest entschlossen, die Agenda zu implementieren, welche auf der Democratic Convention mit ihrer Kampagne vereinbart wurde“, so Sanders in einer Erklärung. Er betonte: „Unter anderem fordert die Agenda die Zerschlagung der größten Finanzinstitute dieses Landes, die Wiederherstellung von Glass-Steagall und die Strafverfolgung der vielen Wall Street CEOs, die sich illegal verhalten haben.“



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