Österreich sucht den politischen Neuanfang – anders als die Vorstellungen von Merkel und Macron
Am Montag könnte alles anders sein in Österreich. Ein „Weiter so“ soll es nach der Parlamentswahl am Sonntag nicht geben: Das finden die meisten Wähler ebenso wie die Parteien der großen Koalition, die einander nach zehn gemeinsamen Regierungsjahren gründlich satt haben.
Österreichs Parteiensystem ist in Bewegung geraten. Die künftige Koalition könnte jünger sein als die bisherige, rechtsgerichteter – und schwieriger im Umgang mit der EU und dem großen Nachbarn Deutschland.
Kein Politiker illustriert den erwarteten Umbruch im österreichischen Politikgefüge besser als der konservative Spitzenkandidat Sebastian Kurz, der mit 31 Jahren als jüngster Bundeskanzler aller Zeiten ins Kanzleramt am Wiener Ballhausplatz einziehen könnte. Seine ÖVP kann Umfragen zufolge mit mehr als 30 Prozent die stärkste Kraft werden.
Die sozialdemokratische SPÖ von Bundeskanzler Christian Kern kann froh sein, wenn sie vor der FPÖ auf Platz zwei kommt – eine Schmach für die Partei, die in Österreich seit 1970 – mit Unterbrechung von 2000 bis 2007 – ständig den Kanzler stellte. Im Wahlkampfendspurt hat Kern mit Skandalen zu kämpfen, peinliche Enthüllungen über die schmutzigen Tricks eines SPÖ-Wahlkampfberaters gegen Kurz ließen die Umfragewerte sinken.
Auf Platz zwei hofft auch die FPÖ, die Umfragen zufolge unter Vorsitzenden Heinz-Christian Strache mit rund 25 Prozent der Stimmen rechnen kann. Nach mehr als zehn Jahren Opposition will sie wieder an die Regierung – und einen Kurswechsel in Österreich einleiten.
Die Vier-Prozent-Hürde bei der Wahl dürften zudem auch die liberalen Neos überspringen – genauso wie die Grünen und die Liste des Ex-Grünen Peter Pilz, der sich im Streit von seiner alten Partei getrennt hatte.
Viele Beobachter halten eine Koalition von ÖVP und FPÖ unter Führung von Kurz für das wahrscheinlichste Ergebnis, auch wenn Kurz eine Koalitionsaussage vermieden hat. Beide Parteien wollen die Zuwanderung begrenzen, den Einfluss der EU zurückdrängen, die Steuern senken und Österreichs wuchernde Bürokratie abbauen.
Besonders die Themen Immigration und Integration mobilisieren viele Wähler. FPÖ-Chef Strache wirbt mit einem harten Kurs: keine Sozialleistungen mehr für Ausländer, zeitliche Befristung der Vergabe von Asyl, Beitritt Österreichs zur Visegrad-Gruppe osteuropäischer Staaten, die sich offen gegen die Flüchtlingspolitik der EU stellt.
ÖVP-Chef Kurz will Sozialleistungen nur noch an solche Ausländer zahlen, die mehr als fünf Jahre in Österreich leben. Kurz verfolge eine „Strategie der Auszehrung der FPÖ“, analysiert der französische Österreich-Spezialist Patrick Moreau vom Pariser Centre National de la Récherche Scientifique. Kurz konkurriere um die Wähler der FPÖ, indem er ihre Themen übernehme.
Eine Kanzlerschaft des 31-Jährigen würde insbesondere dem EU-Führungsduo Deutschland und Frankreich Probleme bereiten, sagt Moreau voraus. Kurz‘ Positionen stünden „größtenteils in Konflikt zu Merkel“. Auch den Plänen des neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron zur EU-Reform stünden sie „diametral entgegen“.
Schon einmal hatte die ÖVP eine Koalition mit der FPÖ gewagt. Das im Jahr 2000 geschlossenen Bündnis löste in Europa Empörung aus, die EU verhängte sogar Sanktionen. Mit derartigem Gegenwind muss Kurz nicht rechnen. (afp/so)
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