Wohnungsnot in Berlin: Immer mehr Familien ohne Wohnung

In Berlin herrscht eine Wohnungsnot – und das nicht nur bei Singles. Auch Familien ohne Wohnung wenden sich an Hilfswerke, und dieses Phänomen kommt immer häufiger vor.
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Symbolbild.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Epoch Times14. Januar 2018

Familien ohne Wohnung – dieses Randphänomen wurde in Berlin innerhalb kurzer Zeit zu einem Problem, sagt Sozialarbeiterin Viola Schröder. Die „Berliner Zeitung“ (BZ) berichtete am Mittwoch. Vor allem gehe es „nicht allein um Roma-Familien“, so Schröder. Das Problem sei in der deutschen Mittelschicht angekommen, fügt sie hinzu.

Laut BZ haben die Berliner Behörden im vergangenen Jahr rund 30.000 Wohnungs- und Obdachlose untergebracht – in Notunterkünften, Heimen oder Hostels. Das sei fast doppelt so viel wie im Vorjahr.

Berlins Sozialsenatorin: Zu lange ist nichts passiert

2017 betrage die Zahl der wohnungslosen Menschen 50.000 oder mehr, schätzt Berlins Staatssekretär für Arbeit und Soziales, Alexander Fischer (Linke). Darunter seien auch anerkannte Flüchtlinge oder Menschen aus anderen EU-Ländern, die in Berlin gestrandet seien.

„Wir stehen mit dem Rücken zur Wand“, sagt Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke). Es gebe jetzt mehr Verteilungskämpfe um Wohnungen als früher.

Es trifft vor allem einkommensschwache Gruppen, aber auch schon Teile der Mittelschicht.“

Und zu lange sei nichts passiert, so die Senatorin.

1,2 Millionen Wohnungslose in Deutschland, Tendenz steigend

Die Zahl der Wohnungslosen im Jahr 2016 betrug laut Schätzungen der „Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe“ (BAG) 860.000 Menschen, darunter auch 32.000 Kinder und Jugendliche, deren Eltern keine Wohnung mehr hatten. Im Vergleich zu 2014 ist dies ein Anstieg um ca. 150 Prozent.

Für 2017 schätzte die BAG die Zahl der Menschen ohne feste Bleibe und Mietvertrag in Deutschland auf 1,2 Millionen – eine Steigerung um ca. 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Nur ein kleiner Teil dieser Menschen lebe obdachlos auf der Straße.

Verfehlte Wohnungspolitik: Sozialwohnungsbestand schrumpft

Dieser Anstieg hänge vor allem damit zusammen, dass in Deutschland seit Jahrzehnten eine verfehlte Wohnungspolitik herrsche, meinte Thomas Specht. Er war seit 2003 Geschäftsführer der BAG und ging Anfang des Monats in den Ruhestand.

„Das Angebot an bezahlbarem Wohnraum ist unzureichend, der Sozialwohnungsbestand schrumpft ständig. Seit 1990 ist der Bestand an Sozialwohnungen um ca. 60 % gesunken“, so Specht.

2016 gibt es noch ca. 1,2 Millionen Sozialwohnungen, bis 2020 werden weitere 170.000 aus der Bindung fallen. Zusätzlich haben Kommunen, Bundesländer und der Bund eigene Wohnungsbestände an private Investoren verkauft. Damit haben sie Reserven bezahlbaren Wohnraums aus der Hand gegeben“, erklärte Specht den Wohnungsnotstand.

Eine säumige Miete kann zum Rausschmiss führen

Vor allem in Berlin, einer Mieterstadt, ist das Problem besonders markant. Eine säumige Miete reicht aus, um aus der Wohnung zu fliegen. Denn Vermieter kündigten bei Mietrückständen gleich doppelt – fristlos und fristgemäß nach drei Monaten.

Auf diese Weise könne ein Mieter seine Wohnung nicht behalten, selbst wenn er die Mietschulden später nachzahle, erklärt der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild. In Berlin sei die Tendenz „sehr stark“, Menschen vor die Tür zu setzen, um die Wohnung dann teuerer neu zu vermieten, so Wild.

Vermieter verdienen mit Neuvermietungen deutlich mehr Geld

Diese Problem betrifft nicht nur Privatpersonen, sondern auch das Diakonische Werk Berlin-Brandenburg. Auf dem freien Wohnungsmarkt würden auch der Diakonie die angemieteten Wohnung für Bedürftige gekündigt, erzählt Barbara Eschen, Direktorin des Diakonischen Werks.

Denn mit Neuvermietungen könnten die Vermieter deutlich mehr Geld machen, und Bewerber gebe es wie Sand am Meer. „In Berlin ist das ganze Hilfesystem verstopft. Bis hin zum Frauenhaus“, so Eschen.

Obdachlosigkeit bei Familien ist ein neueres Phänomen

Ein anderes Problem sei, dass sich der Wohnungsnotstand auf breite Bevölkerungsschichten ausweite, ergänzt die Diakonie-Direktorin. „Es ragt heute mehr in die Mittelschicht hinein als früher“.

Für mich ist Obdachlosigkeit bei Familien ein neueres Phänomen. Das hat ganz viel mit dem Verdrängungswettbewerb auf dem Wohnungsmarkt zu tun“, fügt Eschen hinzu.

Um das zu verhindern, müsse preiswerter Wohnraum geschaffen und erhalten werden, fordert sie.

Das Phänomen der wohnungslosen Familien taucht auch bei der Caritas immer öfter auf. 2017 waren 6 Prozent aller Hilfesuchenden Paare mit Kindern, meint Elfriede Brüning von der Moabiter Wohnungslosenhilfe. Das sei der höchste Wert seit zehn Jahren.

Mittelschicht immer mehr von Wohnungslosigkeit betroffen

Im Jahr 2017 suchten 3.200 Menschen allein bei der Caritas Hilfe – eine Verdoppelung der Hilfesuchenden in zehn Jahren. Dabei gebe es eine deutliche Verschiebung: Während 2007 nur 5 Prozent der Besucher einen Job mit Einkommen hatte, waren es 2017 bereits 15 Prozent. Darüber hinaus kamen vor zehn Jahren zu drei Vierteln Deutsche und zu einem Viertel Migranten. Heute liegt das Verhältnis bei 55 zu 45 Prozent, ergänzt Brüning.

Wir können Menschen, die einfach nur verzweifelt eine Wohnung suchen, kaum noch helfen“, bilanziert Brünings Kollegin Katharina Schelenz.

Berliner Senat stellt mehr Mittel bereit

Angesichts dieses Problems hat der Berliner Senat die Mittel für Wohnungslose 2018 aufgestockt – von 4,2 auf 8,1 Millionen Euro, berichtet die BZ. Davon sollen beispielsweise mehr Notübernachtungsplätze für Frauen und Familien entstehen. Auch sei seit Januar der Spielraum bei der Übernahme von Mieten größer.

„Ich weiß nicht, ob das schon reicht, was jetzt gerade passiert“, meint die Diakonie-Direktorin Barbara Eschen zu der Maßnahme.

(as)



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