WiWo-Analyse: Die großen Volksparteien schaffen sich selbst ab
Eigentlich hatten die großen Parteien bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen gar nicht so schlecht abgeschnitten. Immerhin erhielten sie zusammen 65 Prozent der Stimmen. Doch verglichen mit den Zahlen aus den 60er, 70er und 80er Jahren ist das gar nichts. Zu dieser Zeit wählten noch um die 90 Prozent die großen Parteien.
Die „Wirtschaftswoche“ veröffentlichte heute eine Analyse über die Altparteien. Darin erklärt Autor Ferdinand Krauß, dass sich die SPD und die Union seit 1976 auf einem „kontinuierlichen Abwärtstrend“ befinden, „während die kleinen Parteien einen langfristigen Aufwärtstrend verzeichnen“. 33 Prozent Stimmenanteil, der heute von der NRW-CDU euphorisch gefeiert wird, wäre früher eine Katastrophe gewesen. Der SPD ergehe es dabei noch schlechter.
Die Gründe dafür sind vielfältiger Natur. Zum einen liegt es an einer veränderten Wählerschaft, zum anderen an den heute kaum noch wahrnehmbaren Unterschieden in den Parteiprogrammen. Krauß bringt dabei die veränderte Wählerschaft wie folgt auf den Punkt: „Ohne Arbeiterklasse keine Arbeiterparteien, ohne gläubige Christen keine Christdemokraten.“
Der Wähler als spätkapitalistischer Produzent und Konsument
Heute sei der Wähler eher spätkapitalistischer Produzent und Konsument. „Die marktangepasste Flexibilität der Lebensentwürfe und flatterhafte Zügellosigkeit der Begierden, die das mit sich bringt, prägt auch die Wahlentscheidungen“, so Krauß. So wie man heute seine Persönlichkeit anhand des wachsenden Konsumangebots „zusammenkauft“, so stelle man auch seine politischen Positionen zusammen.
Und was das Regieren von CDU und SPD betrifft, so seien „Unterschiede zwischen beiden nur noch als nostalgische Erinnerungsfetzen wahrnehmbar“, schreibt Krauß. Soziale Schicht, kulturelles Milieu und Religion hätten einst die politische Selbstdefinition der Menschen geprägt, welche sie in den Angeboten der Parteien wiedergefunden hätten. Doch diese Selbstverständlichkeit sei dahin. Bei den einen höre man noch hin und wieder „christlich“, die anderen würden dafür umso mehr von „sozialer Gerechtigkeit“ sprechen.
Die Altparteien hätten auf ein Ende der politischen Leidenschaften in der Bevölkerung gewettet, indem sie ihre alten, historischen Unterscheidungsmerkmale zu Gunsten eines marktbejahenden (Kritiker würden sagen „neoliberalen“), europäisierungs- und globalisierungsfreundlichen Kurses aufgaben, beschreibt Krauß die Folge der ideologischen Vereinheitlichung der großen Parteien.
Parteien als Apparate zur Erlangung und Organisation von Machtpositionen
„Parteien sind nach dieser Vorstellung nur noch Apparate zur Erlangung und Organisation von Machtpositionen, so Krauß weiter, „die wie Unternehmen in einem Effizienzwettbewerb stehen. Die Parteien des merkelianischen Zeitalters fordern meist das, was die anderen auch fordern – es kommt ihnen nur darauf an, dabei ‚authentischer‘ zu erscheinen.“
Dies wiederum hatte laut Krauß zwei Folgen in der politischen Kultur: Zum einen das Erstarken der Populisten, da sich politische Konflikte eben nicht völlig zu Gunsten ökonomischer Praxis aufgelöst hätten. Der heutige politische Bruch zeige sich in einer „neuen kommunitaristischen Opposition, die die Souveränität und kulturelle Identität der Nationalstaaten erhalten will“, und einem „Kosmopolitismus, dem die gesamte etablierte Parteienlandschaft anhängt.“
Bequem sei es nun für die Etablierten, so Krauß weiter, in einer großen Koalition zusammen zu rücken. Die jeweiligen Funktionärskasten bedienten sich an lukrativen Posten und könnten mit großen Mehrheiten regieren. Doch dieses Zusammenrücken gegen den gemeinsamen Feind „dürfte langfristig die Stellung der Etablierten sogar noch weiter schwächen: Man bestätigt dadurch den Anspruch der Populisten, die einzige wirkliche Opposition zu sein, und wertet sie de facto auf“, so Krauß.
Parteien sind ihren Anführern ausgeliefert
Die zweite Folge der Vernachlässigung der politischen Programme in den alten Parteien sieht der Autor in der verstärkten Personalisierung des Politikbetriebes. Man wähle heute eher Politiker-Persönlichkeiten statt Parteien. Durch ihre pragmatische Selbstveräußerung hätten die Parteien sich somit ihren Anführern ausgeliefert.
Besonders stark könne man das in der CDU erkennen: „Die Kaste der CDU-Berufspolitiker folgt ihrer Vorsitzenden bei jeder Kehrtwende ohne Widerstand, da es eine programmatische Linie jenseits des parteienübergreifenden Konsenses nicht mehr gibt.“
In den hinteren Reihen der CDU spreche man schon von einem völligen Einbrechen der Partei, wenn Merkel ihren Rücktritt angetreten hat, so Krauß abschließend.
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