Wiederwahl von Martin Schulz mit 82 Prozent – er will Vereinigte Staaten von Europa bis 2025
Der SPD-Parteitag hat Martin Schulz als Parteivorsitzenden wiedergewählt. Schulz erhielt am Donnerstag in Berlin 81,94 Prozent der Stimmen. Damit blieb der gescheiterte Kanzlerkandidat deutlich unter dem Rekordergebnis von 100 Prozent, das er bei seiner ersten Wahl an die SPD-Spitze im März erhalten hatte. Schulz sprach von einem „Vertrauensbeweis“ und nahm die Wahl an.
„Am 19. März habt ihr mich mit 100 Prozent ausgestattet. Das war ein schöner Moment, aber danach kamen auch schwierige Zeiten“, sagte er mit Blick auf das historisch schlechte Abschneiden der Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl. „Jetzt habt ihr mich mit 81,94 Prozent ausgestattet. Ich wünsche mir, dass auf Grundlage dieses Ergebnisses bessere Zeiten kommen.“
Der SPD-Parteitag gab grünes Licht für die Aufnahme ergebnisoffener Gespräche mit der Union über eine Zusammenarbeit bei der Regierungsbildung. Der Antrag der Parteiführung wurde mit einigen Änderungen mit großer Mehrheit gebilligt. Neu ist, dass über eine etwaige Aufnahme von Koalitionsverhandlungen im kommenden Jahr auf jeden Fall ein Sonderparteitag entscheiden muss.
Die SPD muss nicht um jeden Preis regieren – aber auch nicht um jeden Preis nicht regieren
Für ergebnisoffene Gespräche mit der Union und für die Umsetzung sozialdemokratischer Inhalte – nachdrücklich warnte SPD-Chef Martin Schulz auf dem Bundesparteitag am Donnerstag in Berlin davor, bestimmte Möglichkeiten der Regierungsbildung von vornherein auszuschließen. Er stellte sich damit gegen Forderungen vor allem von Jusos und Parteilinken, sich auf ein Nein zu einer großen Koalition festzulegen.
„Wir müssen nicht um jeden Preis regieren. Aber wir dürfen auch nicht um jeden Preis nicht regieren wollen“, sagte Schulz in seiner Parteitagsrede. „Auf den Inhalt kommt es an und nicht auf die Form.“ Entscheidend sei daher für ihn, „was wir durchsetzen können“. Auf welche Weise diese geschehen könne, das müsse noch ausgelotet werden: „Es gibt verschiedene, gleichwertige Wege, wie man zur Regierungsbildung in diesem Land beitragen kann.“
Die SPD müsse nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen von Union, Grünen und FDP ihrer „Verantwortung, auch der nächsten Generation gegenüber, gerecht werden“. Dabei gebe es jedoch „keinen Automatismus in irgendeine Richtung“, hob Schulz hervor: „Dafür gebe ich meine Garantie.“
Die rund 600 Delegierten sollten am Nachmittag über einen Antrag der Parteispitze abstimmen, den Weg für ergebnisoffene Gespräche mit der Union über Wege zu einer Regierungsbildung frei zu machen. Schulz warb für einen solchen Beschluss, „der keine Option vom Tisch nimmt und der uns alle Wege offenhält“. Im Gespräch ist neben einer großen Koalition beispielsweise auch die Tolerierung einer unionsgeführten Minderheitsregierung.
Inhaltlich forderte Schulz unter anderem die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen, Lohngleichheit für Männer und Frauen, das Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit, die Modernisierung des Bildungssystems sowie ein Ende des Kooperationsverbots zwischen Bund und Ländern im Bildungsbereich.
In der Flüchtlingspolitik erteilte er Unionsforderungen nach einer Obergrenze eine Absage und bekannte sich zum Familiennachzug: „Familie, die ist auch für die Integration wichtig.“ Mit Blick auf das notwendige Erreichen der Klimaziele sagte er: „Das geht nur einher mit dem Ende der Kohleverstromung.“ Dabei müsse es aber Zukunftsperspektiven für die betroffenen Arbeitnehmer geben.
AfD-Vertreter sind „bejammernswerte Deutschnationale“
SPD-Chef Martin Schulz hat die AfD in seiner Parteitagsrede scharf angegriffen. Die Vertreter der Partei seien „Rechtsradikale und bejammernswerte Deutschnationale“, sagte Schulz am Donnerstag in Berlin. „Wenn es ein Bollwerk gegen diese Leute gibt, dann ist das die Sozialdemokratische Partei Deutschlands.“
Die Antwort auf die „Hetzer von rechts“ sei eine „vielfältige, plurale, gleichberechtigte Gesellschaft“. Schulz warnte auch vor der immer wieder von der Union geführten Leitkulturdebatte, die „historischer Unsinn“ sei.
Schulz will Vereinigte Staaten von Europa bis 2025
SPD-Chef Martin Schulz hat in seiner Parteitagsrede die Gründung der Vereinigten Staaten von Europa bis Mitte des kommenden Jahrzehnts vorgeschlagen. „Ich will, dass es einen europäischen Verfassungsvertrag gibt, der ein föderales Europa schafft“, sagte Schulz am Donnerstag in Berlin. Als Zeitpunkt, „diese Vereinigten Staaten von Europa verwirklicht zu haben“, nannte er das Jahr 2025.
Den europäischen Verfassungsvertrag will Schulz von einem europäischen Verfassungskonvent schreiben lassen, der die Zivilgesellschaft und die Bürger einbeziehe. Anschließend könnte der Vertrag allen Mitgliedstaaten zur Ratifizierung vorgelegt werden. Länder, die dem Vertrag nicht zustimmten, müssten automatisch die EU verlassen.
Der frühere EU-Parlamentspräsident gab ein flammendes Plädoyer für Europa ab. Der Nationalstaat habe in der globalisierten Welt an Gestaltungskraft verloren. So könne nur eine entschlossene EU den Klimawandel wirksam bekämpfen, Internetkonzerne wie Google und Facebook zum Respektieren der Regeln und Grundrechte zwingen, die Herausforderung der Migration bewältigen und der „asozialen Steuerflucht“ die Grenzen aufzeigen.
Dabei warb Schulz für eine sozialere Ausrichtung der EU. Wenn Milliarden für Bankenrettungen mobilisiert würden, aber für Jobs für Jugendliche „nur Kleckerbeträge“ zur Verfügung stünden, „dann ist das nicht mein Europa“ sagte er. „Wir brauchen das sozialdemokratische Europa.“
Mit Blick auf die Debatte in der Partei über die Aufnahme von Gesprächen mit der Union über eine mögliche Regierungszusammenarbeit fügte Schulz hinzu, dass die SPD hier eine besondere europapolitische Verantwortung habe, „Weitere vier Jahre deutsche Europapolitik à la Wolfgang Schäuble, das kann sich die Europäische Union weiß Gott nicht mehr leisten“, bezog er sich auf die Sparpolitik des früheren CDU-Finanzministers.
Schulz entschuldigt sich bei SPD und Wähler für Niederlage
SPD-Chef Martin Schulz hat sich zum Auftakt des Parteitags in Berlin für das schlechte Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl entschuldigt und für die Erneuerung seiner Partei geworben. „Wir müssen die letzten 20 Jahre schonungslos aufarbeiten. Unser größtes Problem ist, dass wir unser klares Profil verloren haben“, sagte Schulz am Donnerstagmittag in Berlin.
Seine Partei müsse endlich wieder eine Vision für die Zukunft entwickeln. Schließlich habe sie seit 1998 zehn Millionen ihrer Wähler verloren. Deswegen müsse die SPD aus ihren Fehlern lernen. „Ich trage als Kanzlerkandidat die Verantwortung für dieses Wahlergebnis“, sagte Schulz.
Deswegen bitte er alle SPD-Anhänger für seinen Anteil an dieser „bitteren Niederlage“ um Entschuldigung. Die Erneuerung der SPD beginne mit diesem Parteitag. Daran ändere auch die Diskussion über eine mögliche Neuauflage der Großen Koalition nichts. Die SPD-Erneuerung sei der zentrale Auftrag des nächsten Parteivorstands, der in Berlin gewählt werden soll, so Schulz. Auf dem dreitägigen Parteitag soll unter anderem darüber entschieden werden, ob die SPD Gespräche mit der Union über die Bildung einer Bundesregierung aufnimmt.
Es wird eine heftige Debatte über einen entsprechenden Antrag der SPD-Führung erwartet. Vor allem die Jusos hatten im Vorfeld gefordert, eine erneute Große Koalition als Ergebnis der Gespräche auszuschließen. Die SPD-Spitze will aber „ergebnisoffen“ mit der Union verhandeln. Auf der Tagesordnung steht außerdem die Neuwahl des Vorstands. Schulz stellt sich als SPD-Chef zur Wiederwahl. Noch im März 2017 war Schulz mit 100 Prozent der Stimmen als Nachfolger von Sigmar Gabriel gewählt worden. (afp/dts/dpa)
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