Regierungsprogramm: Europa first, Deutschland zahlt

Das Regierungsprogramm einer erneuten großen Koalition nimmt Gestalt an. Zuerst kommt Europa, dann folgt "Eine neue Dynamik für Deutschland". Ein Überblick über die bisherigen Einigungen.
Epoch Times6. Februar 2018

Das Regierungsprogramm einer möglichen großen Koalition nimmt immer deutlicher Gestalt an. An den Anfang des Koalitionsvertrags wollen Union und SPD das Thema Europa stellen, wie aus einem der Nachrichtenagentur AFP vorliegenden Entwurf hervorgeht. Doch offiziell besiegelt war das Dokument noch nicht, die Beratungen in der CDU-Parteizentrale in Berlin zogen sich am Dienstag hin.

Gegen 16.00 Uhr trafen die Mitglieder der rund 90-köpfigen Verhandlungsrunde, die eine Einigung abschließend beraten soll, im Konrad-Adenauer-Haus der CDU ein. Mehrere Teilnehmer äußerten die Erwartung, dass in den kommenden Stunden mit einem erfolgreichen Abschluss zu rechnen sei. Sie sei grundsätzlich optimistisch, sagte die CDU-Vizevorsitzende Julia Klöckner. „Wie es kommen wird, werden wir sehen.“

Der Entwurf des Koalitionsvertrags mit dem Stand von Montagmittag umfasst 167 Seiten. Nach dem ersten Kapitel unter der Überschrift „Ein neuer Aufbruch für Europa“ wollen Union und SPD ein Kapitel mit dem Titel „Eine neue Dynamik für Deutschland“ stellen.

Die Europäische Union ist ein historisch einzigartiges Friedens- und Erfolgsprojekt und muss es auch künftig bleiben“,

beginnt das Europa-Kapitel. „Sie verbindet wirtschaftliche Integration und Wohlstand mit Freiheit, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit.“ Deutschland habe Europa „unendlich viel“ zu verdanken.

Auch deshalb sind wir seinem Erfolg verpflichtet. Für Deutschland ist ein starkes und geeintes Europa der beste Garant für eine gute Zukunft in Frieden, Freiheit und Wohlstand“, heißt es in dem Entwurf.

Den EU-Beitrittsprozess mit der Türkei wollen Union und SPD derzeit nicht vorantreiben. „Die Lage der Demokratie, von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten“ in der Türkei habe sich „seit längerem verschlechtert“, schreiben Union und SPD. „Deshalb wollen wir bei den Beitrittsverhandlungen keine Kapitel schließen und keine neuen öffnen.“

Die von Union und SPD geplante Rentenkommission soll ihre Vorschläge für eine Rentenreform bis März 2020 vorlegen. Die Kommission solle sich „mit den Herausforderungen der nachhaltigen Sicherung und Fortentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung und der beiden weiteren Rentensäulen ab dem Jahr 2025 befassen“, heißt es in dem Entwurf des Koalitionsvertrags.

Zu Beginn der finalen Verhandlungsrunde am Dienstagmorgen riefen sich die Verhandlungspartner gegenseitig zur Kompromissbereitschaft auf. „Ich glaube, dass wir heute den Tag der Entscheidung darüber haben werden, ob die drei Parteien CDU, CSU und SPD einen gemeinsamen Koalitionsvertrag abschließen, auf dessen Grundlage eine stabile Regierung für die Bundesrepublik Deutschland gebildet werden kann“, sagte SPD-Chef Martin Schulz.

„Jeder von uns wird schmerzhafte Kompromisse noch machen müssen“, forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie sei dazu auch bereit, „wenn wir sicherstellen können, dass die Vorteile zum Schluss die Nachteile überwiegen“. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt verlangte: „Alle sind jetzt gefordert, sich aus ihren Schützengräben rauszubewegen. Eingraben geht jetzt nicht mehr.“

Bisher liegen folgende Einigungen vor

Gesundheit:

Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen künftig wieder den selben Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung leisten. Noch keine Einigkeit gab es zuletzt über die SPD-Forderung, die Honorare für die Behandlung von privat und gesetzlich Versicherten anzugleichen.

Arbeit:

Für Betriebe mit mehr als 45 Mitarbeitern soll es ein Recht auf befristete Teilzeit geben, allerdings mit Einschränkungen. Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung soll sich um 0,3 Prozentpunkte verringern. Strittig war zuletzt noch der Wunsch der SPD, die sachgrundlose Befristung von Arbeitsplätzen abzuschaffen.

Rente:

Das Rentenniveau soll bis 2025 bei den derzeitigen 48 Prozent bleiben. Die Beiträge zur Rentenversicherung sollen bis 2025 nicht über 20 Prozent steigen. Eine Grundrente, die zehn Prozent über der Grundsicherung liegt, soll bekommen, wer 35 Jahre an Beiträgen oder Zeiten der Kindererziehung beziehungsweise der Pflege vorweisen kann.

Mütter, die vor 1992 drei oder mehr Kinder zur Welt gebracht haben, sollen künftig einen dritten Entgeltpunkt erhalten. Auch die Erwerbsminderungsrente wird ausgebaut. In Zukunft sollen die Bezieher so behandelt werden, als hätten sie bis zum aktuellen Regeleintrittsalter weiter gearbeitet. Eine Rentenkommission soll ihre Vorschläge für eine Rentenreform bis März 2020 vorlegen.

Mieten und Wohnungsbau:

Die Mietpreisbremse wird verschärft: Bei Abschluss eines neuen Vertrages soll die Vormiete offengelegt werden müssen. Der Bund soll zwei Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau pumpen, zwei weitere Milliarden sollen für steuerliche Förderung ausgegeben werden. Über einen Zeitraum von zehn Jahren soll ein Baukindergeld in Höhe von 1200 Euro pro Kind und Jahr gezahlt werden.

Digitalisierung:

Union und SPD wollen einen Rechtsanspruch auf schnelles Internet in Deutschland einführen – und zwar spätestens bis 2025. In der laufenden Legislaturperiode soll zudem ein Fonds mit zehn bis zwölf Milliarden Euro aufgelegt werden, um den Breitbandausbau in Deutschland voranzutreiben.

Pflege:

Durch eine Gesetzesänderung soll es einfacher werden, flächendeckende Tarifverträge abzuschließen. Durch ein Sofortprogramm sollen zudem 8000 neue Stellen geschaffen werden.

Steuern:

Der Soli soll schrittweise abgeschafft werden. In einem ersten Schritt sollen rund 90 Prozent aller Soli-Zahler entlastet werden. Steuerliche Mehrbelastungen soll es nicht geben.

Familien:

Das Kindergeld wollen Union und SPD in zwei Schritten um 25 Euro pro Monat erhöhen: Zum 1. Juli 2019 um zehn Euro, zum 1. Januar 2021 um weitere 15 Euro. Gleichzeitig soll der steuerliche Kinderfreibetrag entsprechend steigen. Geplant ist zudem eine Erhöhung des Kinderzuschlags. Kinderrechte sollen im Grundgesetz verankert werden.

Bildung:

Das Kooperationsverbot im Grundgesetz soll gelockert werden, damit der Bund künftig die Schulen nicht nur in finanzschwachen, sondern allen Kommunen unterstützen kann. Sechs Milliarden Euro sollen für Kitas, Ganztagsschulen, berufliche Bildung und Hochschulen ausgegeben werden, 3,5 Milliarden Euro sollen in den Digitalpakt für die Schulen fließen.

Zuwanderung:

Der Familiennachzug soll bei subsidiär geschützten Flüchtlingen nach gut zweijähriger Aussetzung ab August für monatlich 1000 Angehörige wieder ermöglicht werden. Hinzu kommen Härtefälle. Ein Einwanderungsgesetz soll den Zuzug von Fachkräften steuern, und zwar nach Kriterien wie Bedarf, Qualifikation, Alter oder Sprachvermögen.

Sicherheit:

Die Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern sollen um zusätzlich 15.000 Stellen (jeweils 7500 bei Bund und Ländern) aufgestockt werden.

Landwirtschaft:

Der Tierschutz wird verbessert: Ein „Tierwollabel“ soll den Verbrauchern aufzeigen, welche Lebensmittelhersteller mehr für die artgerechte Haltung tun, als gesetzlich vorgeschrieben ist. Das Kükenschreddern soll verboten werden.

Klima:

Union und SPD wollen verbindliche CO2-Einsparungen in Bereichen wie Industrie und Verkehr festlegen, um zumindest das Klimaziel bis zum Jahr 2030 zu erreichen. Das Klimaziel für 2020 wird wohl nicht erreicht. Dies soll so schnell wie möglich nachgeholt werden.

Europa:

Union und SPD befürworten einen künftigen „Investivhaushalt“ für die Eurozone und sind zu höheren Beiträgen Deutschlands zum EU-Haushalt bereit.  (afp)



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