Medienwissenschaftler: „Den klassischen Massenmedien schwimmen die Felle allmählich davon“

"Medien kritisieren nicht mehr die Regierung, sondern ein Phantom“. Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz über die deutschen „Gesinnungsjournalisten“, die jetzt einen Ersatzgegner gefunden haben – die zur Gefahr aufgeblasene „Rechte“. Die bisher zum Schweigen verurteilte Mehrheit habe jetzt öffentliche Foren gefunden, um sich ebenfalls zu Wort zu melden - und das sei nicht ganz ungefährlich für die Mächtigen in Deutschland.
Titelbild
Plakat auf einer Pegida-Demo in Dresden.Foto: TOBIAS SCHWARZ/AFP/Getty Images
Von 14. März 2017

„Heute haben Politiker ihre großen Auftritte nicht mehr im Parlament sondern vor den Medien“, sagt Medienwissenschaftler Norbert Bolz. Journalist Wolfgang Herles traf ihn zum Interview, um sich mit ihm über die Rolle der Medien im Hinblick auf die Berichterstattung über Regierung und Politiker zu unterhalten. Die Zeiten, in denen es Aufgabe der deutschen Journalisten war, die Mächtigen zu kritisieren, sei laut Herles längst vorbei – heute habe man den Eindruck, dass die Mainstreammedien Merkel verteidigten – über Jahre hinweg. „Ausgerechnet die Linken sagen, eine Regierung muss von uns verteidigt werden“, so Herles.

Bolz: „Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass die deutschen Journalisten immer schon Gesinnungsjournalisten waren – sie wollten immer auch Meinungen voranbringen und nun hat Merkel es geschafft, alle linken Themen selbst zu besetzen, indem sie mit ihrer Partei, die ja eigentlich eine konservative war, die SPD links überholt hat und auch der Grünen Partei alle eigenen Themen weggenommen hat.“

Innerhalb des Parlaments gebe es heute keine sachlichen Themen mehr, die Merkel nicht selber vertrete und zwar besser und nachdrücklicher als die anderen, meint Bolz weiter. Ergo, es gebe nur noch die Möglichkeit einer Radikalkritik der bestehenden Ideologie, auf der unsere Kultur zur Zeit beruhe – oder eben „mit diesen Wölfen zu heulen“ – und genau das mache unser Journalismus.

„Man kritisiert nicht die Regierung sondern ein Phantom“

„Und er kann es deshalb machen“, so Herles weiter, „weil er einen Ersatzgegner gefunden hat – man kritisiert nicht die Regierung, sondern ein Phantom, nämlich das Phantom der neuen Rechten.“ Ein Phantom sei es deshalb, weil diese existierenden Rechten in Ausmaß und Relevanz absichtlich überschätzt würden – man wolle gar keine wahre Einschätzung sondern sei froh, hier einen Popanz gefunden zu haben, auf dem man alle kritische Energie ablenken könne, um dann umso affirmativer sich der Regierungspolitik zuwenden zu können.

Bolz weiter: „Wer nicht dem linken Mainstream folgt, ist rechts, wer rechts ist, ist ein Rechtspopulist, wer rechtspopulistisch ist, ist im Grunde genommen schon ein Nazi. Und genau diese Assoziationskette ist die eigentliche Gefahr unserer politischen Kultur heute, weil sie jedes Argument, das nicht abgesegnet ist vom politischen Mainstream in eine Ecke stellt, die gar nicht mehr mit Argumenten bedient wird, sondern nur noch mit Hass.“

Es bestehe überhaupt kein Interesse mehr, auf politische Fragen politisch zu reagieren, so Bolz weiter. Denke man an Trumps Mauerbau zu Mexiko, „ich höre keine Nachrichten darüber, dass dort längst eine Mauer existiert (…) und dass die gleiche Praxis der Abschiebung bzw. Abwehr von illegalen Einwanderern von allen anderen Regierungen auch durchgeführt worden ist.“ Aber man wolle überhaupt nicht kritisch darüber nachdenken, „weil man diesen Belzebub braucht“.

Merkel sei hierbei die umgekehrte Figur – so wie man zur Apologie von Frau Merkel einen Bösewicht braucht – Pegida im Idealfall – so brauche man zur Konsilidierung des eigenen Weltbildes einen Weltbösewicht, der sich mit Trump jetzt wunderbar anbiete und hervorragend mit dem uralten linken Antiamerikanismus harmonisiere. Es sei eine ideale Mischung, dass man den Hass auf Amerika jetzt auch noch in einer öffentlichkeitsbösen Figur konzentrieren könne.

Wenn man die Zeit, die man mit Popanzbeschreibungen über Trump oder Pegida verwende, nehme, um einmal konkrete Probleme zu analysieren, dann wäre wirklich etwas gewonnen, so Bolz weiter, aber da sehe er wirklich überhaupt keinen Schritt in diese Richtung – eher im Gegenteil, die klassischen Massenmedien gingen immer tiefer in diese Richtung von Emotionalisierung und Personalisierung – das Analytische trete immer mehr zurück.

„Zum Schweigen verurteilte Mehrheit findet jetzt öffentliche Foren, um sich zu Wort zu melden“

Der heutige Kulturkampf sei für die Mächtigen nicht ganz ungefährlich, „weil man jetzt vermuten kann, dass die neuen internetbasierten Medien und sozialen Netzwerke dazu führen, dass die bisherige, zum Schweigen verurteilte Mehrheit jetzt doch öffentliche Foren findet, um sich gegen die Mainstream-Öffentlichkeit der klassischen Medien zu artikulieren und zu Wort zu melden“, meint der Medienwissenschaftler weiter im Interview. „Und vor allem plötzlich auch die Möglichkeit sehen, ein Bild von der Welt zu bekommen, ohne dass man das heute-journal oder die Tagesschau anschauen muss – und das machen immer mehr.“

Bolz wisse das zum Beispiel von seinen eigenen Studenten, die kaum mehr Fernsehen schauen würden, kaum mehr Zeitungen kaufen, alles online abrufen würden – und da habe man ein breites Angebot, das weit über diesen Mainstream hinausgehe – mit allen negativen Begleiterscheinungen. Aber dadurch gebe es eben die Möglichkeit, dass die Leute, die bisher durch eine Art „Silencing“ – durch ein zum Schweigen bringen – immer nur mit diesem schlechten Gefühl am Rande waren – „Mein Gott bin nur ich das, der das anders sieht oder bin ich vielleicht doch nicht allein“ sich auch eine Stimme verschaffen könnten.

Diese „Schweigespirale“ werde jetzt aufgebrochen und deshalb, glaubt Bolz, reagierten die klassischen Medien seit einigen Monaten jetzt auch so hysterisch und würden um sich schlagen. Der Kampf gegen Fake-News und die Hysterie um den Begriff Lügenpresse zeige, dass sich die klassischen Massenmedien zu Recht in einer Art Abwehrgefecht befänden, weil sie merkten, dass „die Felle ihnen allmählich davon schwimmen“.

Das ganze Interview finden Sie hier bei Tichys Einblick.

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