Kindesmissbrauch in der DDR: Opfer mussten schweigen denn – „sexuellen Missbrauch gab es in der DDR offiziell nicht“
Kindesmissbrauch ist in der DDR weitaus stärker tabuisiert worden als im Westen. „Sexueller Missbrauch war in der DDR ein Politikum und wurde als solches behandelt und gleichermaßen tabuisiert“, heißt es in einer am Mittwoch vorgelegten Expertise im Auftrag der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs.
Der Analyse liegen 250 Fälle von Betroffenen zugrunde. Es sei um Bestrafung, Disziplinierung und Wiedereinpassung des Täters ins Kollektiv gegangen, „nicht um Aufklärung, Lösungsangebote oder gar Hilfen insbesondere für die Betroffenen“, lautet das Fazit. Abweichendes oder kriminelles Verhalten galt demnach in erster Linie als Angriff auf den sozialistischen Staat – und nicht auf das Opfer.
„Für Betroffene war es regelrecht unmöglich, über ihre Erfahrungen zu sprechen, da es sexuellen Missbrauch in der DDR offiziell nicht gab“, erklärte Stefanie Knorr von der Beratungsstelle für politisch Traumatisierte der SED-Diktatur „Gegenwind“ und eine der Autoren. Professionelle Begleitung und Therapien habe es nicht gegeben. „Die sozialistische Persönlichkeit hatte frei von psychischen Auffälligkeiten zu sein“, erklärte Knorr.
Langes Schweigen wirkt bis heute
Dieses „lange Schweigen“ wirke bis heute nach, erklärte die frühere Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD), die der Aufarbeitungskommission angehört. Viele Betroffene könnten nicht über den erlebten Missbrauch reden und fühlten sich „noch immer stigmatisiert“.
In den schriftlichen Berichten und vertraulichen Anhörungen von Opfern fällt demnach auch eine Mehrfachbetroffenheit auf. So kam es zum Beispiel vor, dass Mädchen und Jungen ein auffälliges Verhalten aufgrund sexuellen Missbrauchs in der Familie entwickelten und daraufhin in ein Heim oder einen sogenannten Jugendwerkhof eingewiesen wurden, wo sie erneut sexueller Gewalt ausgesetzt waren. Die Kontaktaufnahme nach draußen war von dort besonders schwierig, so dass Betroffene kaum Hilfe erwarten konnten.
Täter, die für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) arbeiteten, wurden demnach zunächst aus dem Staatsdienst entlassen und bekamen einen zivilen Beruf, ehe sich Gerichte mit ihren Taten befassten. Die Zugehörigkeit zum MfS sollte in den Ermittlungsakten nicht erkennbar sein. Teilweise schuf das MfS den Tätern nach der Haftentlassung neue Legenden und setzte sie dann weiter als Inoffizielle Mitarbeiter ein.
„Missbrauch in DDR-Heimen“
Auf einer öffentlichen Anhörung zu sexuellem Kindesmissbrauch in der DDR sollten am Mittwoch in Leipzig Betroffene und Experten aus Politik, Wissenschaft und Praxis zu Wort kommen. Corinna Thalheim, Vorstandsvorsitzende der Betroffeneninitiative „Missbrauch in DDR-Heimen“, forderte, die Opfer sexueller Gewalt allen anderen Opfern des DDR-Regimes gleichzustellen. „Die sexuelle Gewalt in den Heimen findet bisher keine beziehungsweise wenig Beachtung.“ Zudem gebe es bis heute zu wenige Fachberatungsstellen für die Betroffenen.
Die Kommission hatte im Mai 2016 ihre Arbeit aufgenommen. Sie untersucht sämtliche Formen von sexuellem Kindesmissbrauch in der Bundesrepublik und in der DDR. (afp)
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