Keinen deutschen Pass: Fast acht Millionen Einwohner dürfen nicht wählen
Fast acht Millionen Menschen leben zwar dauerhaft in Deutschland, sind aber wegen fehlendem deutschen Pass bei der Bundestagswahl nicht wahlberechtigt.
Von einem „Defizit der deutschen Demokratie“ sprach daher der Integrationsforscher Dietrich Thränhardt von der Universität Münster am Donnerstag auf einer Veranstaltung des Mediendienstes Integration in Berlin. Er mahnte ebenso wie weitere Migrationsexperten eine Reform des Einbürgerungsrechts an, um den Erwerb des deutschen Passes zu erleichtern.
Einschließlich Minderjährigen lebten Ende 2016 in Deutschland laut Statistischem Bundesamt gut zehn Millionen Ausländer, davon 4,3 Millionen aus anderen EU-Staaten. Von der Gesamtzahl wohnten 5,3 Millionen seit mindestens acht Jahren in Deutschland, 3,3 Millionen sogar seit mehr als 20 Jahren, sagte der rheinland-pfälzische Migrationsexperte Falk Lämmermann.
Thränhardt sprach von einem wachsenden verfassungsrechtlichen Problem, weil Wohnbevölkerung und Wahlberechtigte immer mehr auseinanderklafften. Der Münsteraner Forscher wies darauf hin, dass es bei der bevorstehenden Bundestagswahl deswegen zwar 400.000 Wahlberechtigte weniger gebe als 2013, die Zahl der Einwohner aber zugleich um rund zwei Millionen zugenommen habe.
Die Gründe für die im internationalen Vergleich relativ geringe Zahl von Einbürgerungen sehen die Experten in hohen rechtlichen Hürden sowie dem aufwändigen Einwanderungsverfahren in Deutschland. Dabei gebe es allerdings große Unterschiede nicht nur zwischen den Bundesländern, sondern sogar zwischen einzelnen Kommunen. So sei in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen die Einbürgerungsquote relativ hoch, sagte Thränhardt. In Bayern, Baden-Württemberg und Berlin sei sie dagegen besonders gering.
Wie sehr selbst einfache Schritte zu mehr Einbürgerungen führen können, zeigt aus Sicht der Integrationsforscher das Beispiel Hamburg. Dort seien seien alle Einbürgerungsberechtigten persönlich angeschrieben und zugleich die Personalstärke in den zuständigen Behörden erhöht worden. Dagegen müssten in Berlin Antragsteller bis zu einem Jahr allein auf einen Termin für ein erstes Gespräch warten.
„Einbürgerung wirkt sich positiv auf die Integration von Migranten aus“ und zwar umso mehr, „je schneller die Einbürgerung nach der Ankunft erfolgt“, sagte die Migrationsforscherin Swantje Falcke von der Universität Maastricht. Der deutsche Pass sei „das Signal“, dass Migranten „ihre Zukunft in dem Land sehen, in dem sie leben“.
Unterschiedlich groß ist der Wunsch nach dem deutschen Pass allerdings auch bei den Einbürgerungsberechtigten. So scheuten EU-Bürger häufig das aufwändigen Verfahren und damit verbundene Kosten, weil sie ohnehin abgesehen vom Wahlrecht als Ausländer kaum Nachteile haben. Einen Antragsboom gibt es folglich bei den Briten, wo diese Rechtssicherheit wegen des Brexit in Frage stehe. Besonders groß sei der Wunsch nach dem deutschen Pass ansonsten bei Berechtigten aus ärmeren Ländern oder solchen mit problematischer Menschenrechtslage, sagte Thränhardt.
Ein Einbürgerungshindernis, zum Beispiel bei türkischstämmigen Einwohnern, ist demnach die Vorgabe, den bisherigen Pass aufzugeben. Thränhardt sprach hier von „Diskriminierung“, weil dies nur von Menschen aus einigen Ländern gefordert werde, nicht aber von EU-Bürgern oder Ausländern, deren Herkunftsland eine Ausbürgerung verweigert. Thränhardt wies auch darauf hin, dass ihm bislang in Deutschland keine Probleme durch Mehrstaatigkeit bekannt geworden seien. (afp)
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