Grundsteuer auf der Kippe – Karlsruhe prüft Einheitswerte, die noch von 1964 und 1935 stammen
Das Bundesverfassungsgericht stellt die Grundlage der für Kommunen wichtigen Grundsteuer infrage. Der Erste Senat hat heute in Karlsruhe über drei Vorlagen des Bundesfinanzhofs und zwei Verfassungsbeschwerden verhandelt.
Nach Überzeugung des Bundesfinanzhofs verstoßen die Einheitswerte für die mehr als 35 Millionen Grundstücke und Immobilien in Deutschland gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes. Im Westen sind diese Einheitswerte seit 1964 unverändert und im Osten gar seit 1935. Ein Grundstück mit „Omas Häuschen“ von 1964 hat deshalb steuerlich den gleichen Wert wie eine 2017 nebenan erbaute Villa.
Der Ausgang der Verfahren hat große Bedeutung für Immobilieneigentümer, Mieter und Kommunen. Bis zu einem Urteil dauert es in der Regel mehrere Monate.
- Siehe auch: Hintergrund: Grundsteuer zahlen alle
Die Bundesregierung verteidigte die Bemessung der Grundsteuer
Die Bundesregierung hat die in die Kritik geratene Bemessung der Grundsteuer auf Immobilien am Dienstag vor dem Bundesverfassungsgericht verteidigt. Der parlamentarische Staatssekretär aus dem Finanzministerium, Michael Meister, räumte ein, dass die seit 1964 unveränderten Einheitswerte für die Berechnung der Grundsteuer mittlerweile zu Wertverzerrungen geführt hätten. Sie würden aber durch Steuermesszahlen korrigiert. Das Gesetz sei deshalb nicht verfassungswidrig.
Das Gericht prüft auf zwei Vorlagen des Bundesfinanzhofes (BFH) und zwei Klagen von Immobilienbesitzern, ob die Besteuerung der bundesweit 35 Millionen Grundstücke verfassungswidrig ist. Sie bringt den Kommunen rund 14 Milliarden Euro im Jahr ein und ist damit ihre drittwichtigste Einnahmequelle.
Die Steuer wird nach Wertfeststellungen berechnet, die im Westen seit 1964 unverändert sind. Im Osten beruhen sie auf Werten von 1935. Nach Ansicht des BFH, dem höchsten deutschen Steuergericht, haben sich die Grundstückswerte seitdem erheblich auseinanderentwickelt. Diese Verzerrung habe dazu geführt, dass „mittlerweile die Grundstückswerte fernab realer Maßstäbe willkürlich und gleichheitswidrig festgesetzt“ würden.
Das Bundesverfassungsgericht will dem Gerichtsvizepräsidenten Ferdinand Kirchhof zufolge nun „ermitteln, ob und ab welchem Jahr“ Wertänderungen und Wertverzerrungen gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes verstoßen und ob es noch „tragfähige“ Rechtfertigungsgründe für die Beibehaltung der Einheitswerte von 1964 gibt.
Meister hatte mit Blick darauf argumentiert, dass die Ungleichbehandlung der Immobilienbesitzer „verhältnismäßig gering“ sei und deshalb kein Verstoß gegen das Grundgesetz vorliege. Der Kläger Hans-Joachim Lehmann verwies demgegenüber auf Grundstücke, die in Berlin früher an der Mauer gelegen hätten und mit der Wiedervereinigung als Filetstücke mitten in der Hauptstadt eine zehnfache Wertsteigerung erfahren hätten, ohne dass dies von der Grundsteuer berücksichtigt werde. Ähnlich kritisch äußerte sich Kirchhof und hielt dem Vertreter der Bundesregierung entgegen, dass ein Steuergesetz nach Maßgabe der Verfassung „die Realität abbilden muss“.
Einig waren sich Bund und Länder in der Befürchtung, dass eine von Karlsruhe rückwirkend eingeforderte Steuerreform zu erheblichen Steuerausfällen führen könne. Am Nachmittag erörterte das Gericht dann verschiedene Modelle und den Zeitaufwand für eine Neuregelung der Grundsteuer.
Ländervertreter führten dazu aus, dass die zuletzt vom Bundesrat vorgeschlagene Reform auf Grundlage der Grundstückspreise und des Wertes der Häuser darauf sechs bis sieben Jahre dauern würde. Deshalb sprach sich der Mieterbund bereits vor der Verhandlung für eine allein auf dem Bodenwert beruhende Reform aus. Damit entfalle eine zeitaufwändige Neubewertung der Gebäude, zudem seien die Bodenrichtwerte bundesweit bereits auf aktuellem Stand.
Das Finanzministerium verteidigt die Steuer
Das Bundesfinanzministerium warnt eindringlich vor einer Abschaffung der Abgabe. Die Steuer sei „unverzichtbar“, zitierte die „Bild“-Zeitung am Dienstag aus einem Schreiben des Ministeriums an die Richter in Karlsruhe. Würde sie kippen, drohten den Kommunen „wirtschaftliche Verwerfungen“. Die Gemeinden dürften „weitgehend nicht in der Lage dazu sein, den Wegfall der Grundsteuer zu kompensieren“, warnte das Ministerium.
Städte und Gemeinden forderten eine schnelle Reform. „Die Diskussion um die Grundsteuer läuft jetzt seit fast 20 Jahren“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland vom Dienstag. „Es wird Zeit, dass die Politik endlich zu Potte kommt.“
Auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, forderte Bund und Länder auf, die Grundsteuer „zügig“ neu zu regeln. Eine Reform sei überfällig und da eine mögliche Neubewertung aller Grundstücke einige Jahre dauern würde, müsse schnell gehandelt werden.
Die Steuer ist dem Deutschen Städtetag zufolge mit rund 13 Milliarden Euro im Jahr eine der wichtigsten Einnahmequellen der bundesweit 11.300 Städte und Gemeinden. (afp/dpa)
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