Erteilung von Familiennachzug-Visa für Afghanen unterbrochen – Deutsche Botschaft kaum noch arbeitsfähig
Die Erteilung von Visa für den Familiennachzug für Angehörige von in Deutschland anerkannten afghanischen Flüchtlingen ist derzeit unterbrochen. Das geht aus einem Schreiben des Auswärtigen Amts hervor, das die Linken-Politikerin Ulla Jelpke am Montag in Berlin veröffentlichte. Hintergrund ist, dass die deutsche Botschaft in Kabul seit dem Anschlag vom 31. Mai kaum noch arbeitsfähig ist.
Dem auf den 22. Juni datierten Schreiben von Außenamts-Staatsminister Michael Roth (SPD) an Jelpke zufolge befinden sich in den Trümmern der Botschaft derzeit zwischen 1.500 und 2.000 noch nicht bearbeitete Visaanträge. „Etwa die Hälfte davon betreffen Visa zur Familienzusammenführung“, hieß es in dem Schreiben, das AFP vorliegt. Ein Zugang zu diesen Anträgen sei „aus logistischen und Sicherheitsgründen noch auf unbestimmte Zeit nicht möglich“.
„Das Auswärtige Amt bedauert die Schwierigkeiten, die den Antragstellerinnen und Antragstellern durch die Verzögerung in der Bearbeitung der Visaanträge entstehen“, schrieb Roth weiter.
Könnten die Anträge auch im Nachbarland gestellt werden?
Geprüft werde derzeit, ob Anträge auch an deutschen Auslandsvertretungen in Nachbarländern Afghanistans gestellt werden könnten. Bislang ist dies nur in Kabul möglich, auch innerhalb Afghanistans gibt es keine zweite deutsche Visastelle.
„Statt eines Abschiebestopps gibt es einen Stopp der Familienzusammenführung“, kritisierte Jelpke in Berlin. Sie wies darauf hin, dass es für die Familienzusammenführung einen klaren Rechtsanspruch gebe, „der nicht einfach auf unbestimmte Zeit ausgesetzt werden darf“.
Angesichts der geringen Kapazitäten, über die die Botschaft derzeit noch verfüge, müssten alle Kräfte auf die Visabearbeitung konzentriert werden. Dagegen „wäre es jetzt absurd, weitere Abschiebungen vorzubereiten“.
Anschlag auf die Botschaft mit mindestens 150 Toten
Durch den Anschlag mit mindestens 150 Toten war die deutsche Botschaft schwer beschädigt worden. Seither hält sich nur noch Botschafter Walter Haßmann mit einem kleinen Stab von Mitarbeitern und Personenschützern in Kabul auf, wie Außenamts-Sprecher Martin Schäfer am Montag in Berlin erklärte. Das übrige Personal war nach dem Anschlag ausgeflogen worden.
Diese Situation verzögert offensichtlich auch die Erstellung einer von Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) angekündigten neuen Sicherheitsanalyse für Afghanistan, die wichtig für Entscheidungen über Asylanträge sowie über Abschiebungen ist.
Ein mutmaßlich für diesen Mittwoch anvisierter neuer Abschiebeflug nach Afghanistan wurde laut Medienberichten vorerst abgesagt. Das Bundesinnenministerium wollte sich am Montag jedoch auf Anfrage nicht festlegen, ob solche Flüge wegen der eingeschränkten Arbeitsfähigkeit der Botschaft derzeit generell nicht stattfinden könnten.
Die Bundesregierung hatte nach dem Anschlag entschieden, auf Abschiebungen nach Afghanistan vorerst zu verzichten, davon jedoch Gefährder und Straftäter ausgenommen sowie Flüchtlinge, die beispielsweise eine Feststellung ihrer Identität verweigern würden.
Die SPD beschloss allerdings auf ihrem Parteitag am Sonntag in Dortmund, wegen der Sicherheitslage in Afghanistan „bis auf weiteres“ auf jegliche Abschiebungen nach Afghanistan zu verzichten. Auch Linkspartei und Grüne fordern einen generellen Abschiebestopp. (afp)
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