Brief an Merkel von Focus-Redakteur: „Vielleicht ist Ihr Auftrag, Europa zu retten, ein Irrtum“

„Was bleibt am Ende dieser Wahnsinnswoche übrig von Ihnen, Frau Merkel?" Das und noch vieles mehr fragte Focus-Redakteur Ulrich Reitz in einem offenen Brief an die deutsche Kanzlerin. Ist sie die "Last Woman Standing?", fragt er in Anspielung an Bruce Willis in "Last man Standing".
Titelbild
Merkels berühmte Raute.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 28. November 2016

Focusredakteur Ulrich Reitz machte sich die Mühe, einen Brief an Frau Merkel zu schreiben. Dabei fragt er leicht sarkastisch: „Was bleibt am Ende dieser Wahnsinnswoche übrig von Ihnen, Frau Merkel?“

Reitz spielt in seinem Brief auf Bruce Willis in „Last Man Standing“ an, der im Alleingang die Welt vom Bösen befreite und mit reiner Seele in die Mexikanische Sonne ritt – genau dorthin, wo ihn in naher Zukunft Donald Trumps Mauer aufhalten würde.

Laut „New York Times“ sei Angela Merkel die letzte Verteidigerin des liberalen Westens, für Reitz also der „Bruce Willis der internationalen Politik, bedrängt von Kleingeistern, gewissenlosen Pistoleros und großmäuligen Populisten, am Ende aber siegreich, weil gut. Last Woman Standing, sozusagen“.

Doch die „New York Times“ sei schon einmal schiefgewickelt gewesen, so Reitz. Ebenso die übrigen selbsternannten linken Diskurs-Eliten, als sie versucht hätten, Hillary Clintons Wahlsieg als politisch korrekt gebotene Selbstverständlichkeit herbei zu schreiben.

Etwas viel für einen deutschen Regierungschef

Aber sei dieser Auftrag zur Rettung der westlichen Welt nicht „ein bisschen viel für einen deutschen Regierungschef“, will Reitz in seinem Brief wissen. Wie solle Merkel Frankreich vor Marine Le Pen bewahren und die Niederlande vor Geert Wilders? Solle sie etwa putschen gegen die Kaczynskis in Polen und die Autoritären in Tschechien – oder gegen Viktor Orbán? Wie sollte sie Putin ganz ohne Atomwaffen in Schach halten und sich nebenbei Donald Trumps Respekt erwerben? Etwa mit Sigmar Gabriel, der den neuen Anführer der westlichen Welt beleidigte als „Vorreiter einen neuen autoritären und chauvinistischen Internationalen“?

Aber vielleicht bekomme diese Beleidigung ja ein Preisschild von Trump: Statt 1,2 Prozent des Bruttosozialprodukts müsste Deutschland dann zwei Prozent an die Nato überweisen, so viel, wie Berlin versprochen, aber nicht gehalten hat.

Der grün-liberale Lifestyle sei unter Verdacht geraten, heißt es weiter bei Reitz. Verliert das, was den Westen seit dem Krieg kulturell ausmachte, an Bindekraft? Womöglich wegen antidemokratischer Verschwörer? „Oder weil die westliche politische Klasse ihrer Bevölkerung nach deren Empfinden kaum mehr zuhört?“

„Ihr Flüchtlings-Oktroi hat Sie bei Europäern Respekt gekostet“

„Vielleicht ist also dieser Auftrag, Europa zu retten, ein Irrtum. Wie auch die Annahme, Sie seien dazu in der Lage. Ihr Flüchtlings-Oktroi hat Sie bei Europäern Respekt gekostet. Ohnehin wird im Ausland verkannt, wie einsam es um Sie geworden ist“, schreibt Reitz.

Nicht mehr Merkel regiere, sondern die Einzelinteressen ihrer Regierungsbestandteile. Die Personalie Bundespräsident – versagt. „Ist Ihre Autorität hin?“ Die große Koalition, deren Agenda ohnehin zu großen Teilen von der SPD diktiert werde – nun werde Merkel komplett damit eingemauert, da sie den keinen Kandidaten aus der eigenen Partei aufstellen konnte, sondern SPD-Mann Steinmeier akzeptieren musste.

Normalerweise wäre jetzt der Moment für einen Wechsel, schreibt Reitz weiter. Nur seien die Zeiten nicht normal. „Sie sind unruhig. Unruhige Zeiten sind gute Zeiten für beruhigende Botschaften. Das ist langweilig. Und setzt null Fantasie in Bewegung. Aber wenn so viele andere gerade für unliebsame Bewegung sorgen, was will man dann selbst?“ Keine Experimente und lieber „weiter so“? Er empfiehlt Merkel: „Seit‘ an Seit‘ mit Frank Walter Steinmeier in die Sonne reiten.

Romantische Grüße

Ihr Ulrich Reitz“



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