Chinas schrecklicher Winter des Jahres 1968 Teil I

Persönliche Erinnerungen an die Kulturrevolution in China, exklusive Memoiren für The Epoch Times. Teil I
Titelbild
Jean Vincent/AFP/Getty Images
Von 29. November 2010

Yukui Liu ist Arzt für Traditionelle Chinesische Medizin und lebt heute in den Vereinigten Staaten. Die folgende Geschichte schildert seine persönlichen Erfahrungen, die seiner Mutter und seines Vaters und die mit dem chinesischen Kommunismus von der Kulturrevolution bis heute. Dieser Bericht wurde erstellt und bearbeitet, um als exklusive Memoiren in The Epoch Times veröffentlicht zu werden. Die Namen wurden geändert, um in China lebende Familienmitglieder zu schützen.

Ich wuchs im kommunistischen China während der Großen Kulturrevolution auf. Das Leben für das chinesische Volk wurde bitter, als der vom Staat initiierte „Klassenkampf“ wie ein Lauffeuer von Gewalt durch unser Land fegte, zehn lange Jahre lang. Obwohl mein Vater die Zentralfigur dieser Geschichte ist, war unsere ganze Familie von den an ihm begangenen Verbrechen betroffen.

Für mich als ältester Sohn sind die damaligen Leiden und der Stress immer noch allgegenwärtig in meinem Kopf vorhanden, wie dieses Regime, das extreme Brutalität verwendet, beabsichtigt hat an Menschen Exempel zu statuieren, Angst zu verbreiten und die Massen zu unterdrücken.

Im Jahre 1963, als ich sechs Jahre alt war, wurde unsere Familie während der sogenannten „Sozialistischen Erziehungsbewegung“ kurz vor der Kulturrevolution, in ein kleines Dorf im Nordosten von China verbannt, da mein Vater während des Zweiten Weltkrieges einige Jahre japanische Schulausbildung erhalten hatte. Das Gebiet, in das wir geschickt wurden, war arm und unterentwickelt, es fehlten Verkehrsmittel, Strom und Arbeitsplätze.

Mein Vater war ein Universitätsprofessor, doch plötzlich musste er als Bauer arbeiten, um seine Familie zu ernähren, die aus meinen Eltern, der Großmutter, der jüngeren Schwester und mir bestand. Da mein Vater keinerlei landwirtschaftliche Erfahrung hatte, konnten wir nie genug Nahrung erwirtschaften und litten in jenen Jahren sehr unter dem Hunger. Da meine Eltern kein Einkommen hatten, zog meine Mutter ein paar Hühner auf, um die Eier zu verkaufen, damit ich Papier und Stifte hatte, um in die Schule zu gehen.

Es war ein ungewöhnlich kalter Winter im Jahr 1968. Ich war 11 Jahre alt. Tag für Tag schneite es unaufhörlich und das Dorf war ganz von Schnee bedeckt. Den Winter über sahen wir weder Sonne noch Mond und mussten bitterkalte Tage und Nächte von bis zu -30 Grad Celsius ertragen. Ich besuchte damals die Dorfgrundschule.

Eines Tages verursachte ein Ereignis in der Schule einen unvergesslichen Schlag gegen meine Seele. Wie üblich lief ich die zwei Meilen der schneebedeckten Bergstraße in Richtung Schule. Doch als ich mein Klassenzimmer betrat, war niemand da, weder Lehrer noch Schüler. Stattdessen waren die Wände mit Plakaten bedeckt, die mit in schwarzer Tusche gemalten Schriftzeichen gefüllt waren. Als Viertklässler konnte ich schon alle chinesischen Schriftzeichen lesen. Der Inhalt der Plakate erschreckte mich zutiefst. In jedem wurde mein Vater angegriffen mit Sätzen wie „stürzt den konterrevolutionären Liu Shibao!“.

Ängstlich und verwirrt lief ich auf dem Schulhof umher und sah noch mehr von diesen Plakaten in der ganzen Schule verteilt. Dann begriff ich, dass viele Dorfbewohner, darunter auch einige Schüler, diese aufgehängt hatten.

Dies geschah im dritten Jahr der Großen Proletarischen Kulturrevolution, einer politischen Bewegung, die im Mai 1966 von der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) ins Leben gerufen worden war, um die gebildete Elite, darunter Lehrer und Wissenschaftler, durch Terror und Verfolgung zu kontrollieren und letztendlich zu beseitigen. Diese grausame und vernichtende Bewegung dauerte insgesamt zehn Jahre an und verteilte sich über das ganze Land.

Von diesem Tag an wurde meinem Vater befohlen, an nächtlichen Sitzungen öffentlicher Kritik, die auch als „Kampfsitzungen“ (Pi Dou Da Hui Pi oder Pan Da Hui auf Chinesisch) bezeichnet wurden, teilzunehmen. Mehrere Hundert Dorfbewohner wurden dabei von den Behörden aufgefordert, gegen den „Klassenfeind“ zu „kämpfen“ mit dem Ziel, ihn verbal und körperlich zu misshandeln.

Mein Vater war als „geschichtlicher Konterrevolutionär“ gekennzeichnet und war verpflichtet, diese Bezeichnung ununterbrochen auf einer Karte an seiner Kleidung angeheftet zu tragen, sowohl in der Öffentlichkeit als auch zu Hause. Die Kampfsitzungen wurden von dem die „Kulturrevolution leitenden Komitee“ organisiert, eine spezielle Verwaltungsbehörde der Kommunistischen Partei.

Während der Sitzungen musste sich mein Vater über drei Stunden lang hinknien, während Menschen ihn laut und heftig beschimpften. Die Leute schrien immer wieder: „Schlagt Liu Shibao nieder! Schlagt Liu Shibao nieder!“ Einige erfanden gefälschte Geschichten über meinen Vater, um den Hass auf ihn anzufeuern. Manche Menschen wurden so aufgebracht und gerieten außer Kontrolle, sie spuckten ihn an und schlugen ihn.

Diese Art von Misshandlung wurde immer wieder, Nacht für Nacht wiederholt, bis mein Vater schließlich kurz vor dem Zusammenbruch stand. Er wurde krank und war erschöpft, andauernd war ihm schwindlig, er litt an Kopfschmerzen, Übelkeit und war manchmal der Ohnmacht nahe. Seine Emotionen schwankten zwischen Wut, Angst, Hass, Hoffnung, Hilflosigkeit und Depression.

Wir waren verängstigt und sorgten uns sehr um meinen Vater. Meine Großmutter weinte die ganze Zeit. Meine Mutter und ich hatten Angst, er könnte sterben. Jeden Abend vor den Kampfsitzungen versteckten meine Mutter und ich uns außerhalb des Sitzungssaals. Bei Temperaturen bis -22 Grad Celsius zitterten wir vor Kälte und unsere Füße schmerzten und waren taub.

Trotzdem haben wir uns immer draußen aufgehalten und uns die Sitzungen angehört, um meinem Vater eventuell helfen zu können, sollte sich seine Lage drastisch verschlechtern. Meine Mutter hatte sich vorgenommen, in dem Fall, dass mein Vater zu schwach würde, in den Sitzungssaal zu gehen, sich vor den Dorfbewohnern niederzuknien und sie anzuflehen aufzuhören.

„Wenn sie noch ein wenig menschliches Herz übrig haben, können sie aufhören und dadurch können wir deinem Vater das Leben retten“, sagte Mama.

Die Kampfsitzungen gingen manchmal bis Mitternacht. Danach halfen wir meinem erschöpften Vater nach Hause zu gehen. Auf dem Heimweg gingen wir an dem Dorfbrunnen vorbei. Meine Mutter hatte Angst, mein Vater würde in den Brunnen springen um Selbstmord zu begehen, wenn er alleine wäre. Dies war ein weiterer Grund, außerhalb des Sitzungssaals in den kalten Nächten auf meinen Vater zu warten.

Weiter gab es solche dunklen Tage und Nächte. Jede Kampfsitzung erzeugte mehr gefälschte Geschichten über meinen Vater und der Hass gegen ihn wurde immer extremer. Diese gefälschten Anklagen wurden unter dem Druck der Führer des die „Kulturrevolution führenden Ausschusses“ gemacht, die Mitglieder der Kommunistischen Partei waren. Ohne Angabe von Tatsachen wurden diese fabrizierten Berichte verwendet, um „den Feind“ zu verleumden und zu zerstören. Sie wurden laut vorgelesen und dann auf den Schulwänden und in allen öffentlichen Orten des Dorfes angeklebt.

Das gehetzte und irrationale Mobbing der Kampfsitzungen erzeugte eine derartig hasserfüllte Energie, die Menschen sogar zum Morden trieb. Viele unschuldige Lehrer, Professoren, Ingenieure, Wissenschaftler und religiöse Führer wurden zu Tode geprügelt. Mein Vater wurde auch damit konfrontiert. Unsere ganze Familie litt unter der ständigen Angst, meinen Vater eines Tages totgeschlagen zu finden.

Eines Nachts, nachdem die Kampfsitzung um 1 Uhr morgens vorbei war und alle Lichter im Dorf aus waren, nachdem alles dunkel und ruhig war, kam ein Besucher zu uns nach Hause. Unsere Familie befand sich gerade in einem leichten Schlaf. Da hörte meine Mutter die Stimme eines Mannes vor unserem Haus, die Folgendes dauernd wiederholte: „Bruder, öffne die Tür! Bruder, öffne die Tür!“

Meine Mutter ignorierte die Stimme, da sie dachte, es wäre eine Sinnestäuschung, weil sie sich solch große Sorgen um meinen Vater machte. Dann bin ich auch aufgewacht, aber ich hatte Angst und blieb still. Allerdings flehte die Stimme des Mannes weiter: „Bruder, öffne die Tür!“

Wir haben endlich erkannt, dass es mein Onkel war, der Ehemann meiner Tante väterlicherseits. Er sagte, er habe etwas Wichtiges zu erzählen.

Mein Onkel war ein Mitglied des „Kulturrevolution führenden Ausschusses“ in unserem Dorf und ein Mitglied der Kommunistischen Partei. Er war ein wichtiger Teilnehmer an den Kritiksitzungen gegen meinen Vater. Seine Frau,  die jüngere Schwester meines Vaters, war sehr besorgt, aber weder sie noch mein Onkel konnten irgendeinen Kontakt mit uns haben. Denn wer enge Beziehungen mit einem „Feind“ der Kulturrevolution hatte, kam auch in Schwierigkeiten. Also musste mein Onkel sich in der Öffentlichkeit aktiv an allen Aktivitäten der Kampfsitzungen gegen meinen Vater beteiligen. Zu Hause angekommen litt er unter Schuldgefühlen, besonders wenn er seine Frau lautlos weinen sah. Manchmal fragte meine Tante ihn, ob es irgendeine Möglichkeit gäbe, meinem Vater zu helfen. Aber seine Antwort war immer: „Es gibt nichts, was ich tun kann. Ich bin auch darüber bestürzt.“

Mein Onkel und unzählige Millionen von Chinesen saßen so in der Falle. Der Klassenkampf wurde durch das kommunistische Regime entwickelt, um Menschen dazu zu bringen, die Drecksarbeit für sie umzusetzen. Viele Menschen waren deshalb gegen ihr Gewissen gezwungen, Verbrechen gegen andere Menschen zu begehen, einfach aus Angst. Die Absicht des Regimes war, das Gewissen der Menschen mit dem des „Parteigeists“ zu ersetzen. Mit Parteigeist ist gemeint, das Überleben des Systems an erste Stelle zu stellen, und „Feinde“ ohne Gnade und Menschlichkeit zu behandeln, auch wenn sie der eigenen Familie angehören oder beste Freunde sind.

Mein Onkel konnte es schließlich nicht mehr schweigend ertragen, als entschieden wurde die Kritiksitzungen eine Stufe weiter zu treiben, also meinen Vater körperlich zu foltern.  Mein Onkel erzählte uns, dass an diesem Tag eine Sitzung innerhalb der Führung darüber stattgefunden hatte.

Danach begannen sie, viele Folterinstrumente wie Ziegel, Metallpeitschen, Draht und Stöcke vorzubereiten. Es wurde beschlossen, in der nächsten Kritiksitzung  meinen Vater zu zwingen, sich auf die Ziegel zu knien und ihm mehrere Ziegel um den Hals zu hängen. Dann würden sie Menschen auffordern, ihn mit Metallpeitschen und Stöcken zu schlagen.

Sie entschieden, dass wenn mein Vater sich nicht bekennen würde, ein japanischer Spion zu sein, sie ihn zu Tode schlagen würden. Vor der Kulturrevolution war mein Onkel ein enger Freund meines Vaters gewesen. Er kannte ihn gut und wusste, dass mein Vater nie etwas zugeben würde, was nicht der Wahrheit entsprach. Er wusste auch, dass diese die letzte Kampfsitzung sein sollte und dass mein Vater womöglich sterben würde.

Der Gewissenskonflikt meines Onkels wurde unerträglich. Würde er schweigen, würden sie meinen Vater töten. Würde er versuchen diese Leute aufzuhalten, würde er in der gleichen Situation wie mein Vater landen. Wenn er meinen Vater warnen würde, würde das heißen, dem Feind Staatsgeheimnisse preiszugeben und er würde selbst als Konterrevolutionär abgestempelt werden und die gleichen oder noch schlimmere Qualen erleiden.

Nach einem schmerzhaften seelischen Kampf beschloss mein Onkel, heimlich in unser Haus zu kommen und meinen Vater zur Flucht zu überreden. So war mein Onkel in der Dunkelheit der Nacht durch den hohen Schnee zu uns gekommen. Er musste sehr vorsichtig und leise sein, damit er keine Hunde zum Bellen brachte. Hätte ihn jemand auf dem Weg zu uns gesehen, wäre er sofort verhaftet worden.

Wir saßen alle auf dem Boden in dem dunklen Raum und hörten, wie mein Onkel zu meinen Eltern in gedämpfter Stimme sprach: „Bruder und Schwester, bitte nehmt meine Worte sehr ernst. Sie haben schon alles vorbereitet, um Bruder in der morgigen Kampfsitzung zu foltern. Der einzige Weg, ihn zu retten ist, vor Tagesanbruch zu entkommen, sonst werden sie dich töten. Schlussendlich entschied ich mich hierher zu kommen und dir das unter Gefahr meines eigenen Lebens zu sagen. Jetzt hast du nur noch wenige Stunden Zeit, bitte beeile dich und bereite dich vor, irgendwo weit weg von hier zu entkommen!“

Danach verließ mein Onkel uns und wir setzten uns hastig in Bewegung. Meine Mutter benutzte die letzten zwei Pfund Mehl, die wir für das gesamte Jahr noch übrig hatten, um ein paar chinesische Pfannkuchen für meinen Vater zu backen. Ich saß auf dem, Boden und half meiner Mutter, das Holzfeuer in Gang zu halten.

Wir brauchten 30 Minuten, um meinen Vater für seine Flucht vorzubereiten. Alle unsere Familienmitglieder, darunter auch meine kleine Schwester und meine Großmutter, weinten als wir von ihm Abschied nahmen. Dann sahen wir, wie mein Vater allmählich in der Dunkelheit der stürmischen Nacht verschwand.

Mit nur einigen Pfannkuchen und 50 Yuan, die mein Onkel ihm gegeben hatte, verließ mein Vater sein Zuhause in jener kalten Winternacht des Jahres 1968, um dem Tod in der Kampfsitzung am folgenden Tag zu entkommen.

Ende des ersten von drei Teilen von Yukui Lius Bericht.

Lesen Sie hier:  Teil II

und hier: Teil III

Und: Der erste der Neun Kommentare über die Kommunistische Partei

Dieser Artikel auf Englisch: The Terrible Winter of 1968: A Memoir of China’s Cultural Revolution, Part I

Jean Vincent/AFP/Getty Images Jean Vincent/AFP/Getty Images



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion