BND-Beamte dürfen „ungestraft lügen“: Ex-Bundesrichter fordert Geheimdienst-Strafrecht
Hat der Bundesnachrichtendienst ein Eigenleben, von dem das Kanzleramt nichts wusste? Oder lügt die Bundesregierung, um den BND zu decken? Das ist die Frage in der BND-Affäre, bei der es längst um mehr geht, als deutsche Überwachung im Auftrag des NSA.
Zur Affäre um den Bundesnachrichtendienst und den NSA interviewte die Süddeutsche Zeitung Wolfgang Nešković, ehemaliger Bundesrichter und Ex-Bundestagsabgeordneter. Er saß sieben Jahre im Parlamentarischen Kontrollgremium, das vom Kanzleramt über die Arbeit der Geheimdienste informiert wird, und ist deshalb ein Mann vom Fach. Er fordert ein Sonderstrafrecht für die Geheimdienstkontrolle: Denn noch sei es ein Problem, dass BND-Beamte ungestraft lügen könnten, so Nešković.
Datenübermittlung war illegal
Die Übermittlung von Informationen vom BND an den NSA wäre nur nach Zustimmung des Kanzleramtes legal gewesen – und auch nur dann, wenn sie "erforderlich" gewesen wäre, um "außen- und sicherheitspolitische Belange der Bundesrepublik Deutschland" zu wahren, so Nešković in der SZ. Wirtschaftsspionage gegen deutsche Unternehmen, wie sie nun zu Tage kam, fällt nicht darunter – ebenso wie die Ausspähung deutscher Politiker keineswegs im Sinne Deutschlands gewesen sein dürfte.
Die riesige Zahl der IP-Adressen, Telefonnummern oder E-Mail-Adressen, die der BND für den NSA analysieren sollte, deutet an, dass automatisch Daten übermittelt wurden. Und dafür, genau wie für eine „Pauschalzustimmung des Kanzleramtes“ gebe es im BND-Gesetz keine Rechtfertigung so Nešković.
Er könne sich angesichts der eindeutigen Gesetzeslage nicht vorstellen, dass das Bundeskanzleramt tatsächlich unwissend gewesen sein sollte. Das Problem sei, dass die BND-Mitarbeiter ungestraft lügen könnten: „Wenn Mitarbeiter der Nachrichtendienste das Gremium im Rahmen einer Anhörung anlügen, müssen sie keine strafrechtlichen Folgen befürchten“, so der Ex-Bundesrichter.
Strafrecht für Geheimdienstler gefordert
„Wir brauchen ein Sonderstrafrecht für die Geheimdienstkontrolle“, fordert er. Gerade bei der Geheimdienstkontrolle sei es besonders wichtig, Gesetzesbrüche strafrechtlich zu verfolgen. Aktuell hätten sie höchstens disziplinarrechtliche Konsequenzen. Öffentliche Schelte sei wegen der Geheimhaltungspflicht kaum zu erwarten.
Bei Geheimdienstarbeit gehe es um mögliche Eingriffe in die Grundrechte, die verdeckt stattfänden und von den Bürgerinnen und Bürger in der Regel nicht bemerkt würden, sodass diese nicht vor Gericht gehen könnten. Nur wenn bei der Geheimdienstkontrolle das Strafrecht mit seiner Abschreckungswirkung zum Einsatz käme, könnten Bürgerinnen und Bürger wirksam geschützt werden, so Nešković.
Ähnlich bizarr: „Stellarwind“ in USA
Ein ähnliches Problem wie in Deutschland haben die USA mit den Aktionen ihres Geheimdienstes NSA. Wie Heise.de unter Berufung auf die New York Times und nun freigegebene Dokumente berichtete, war das NSA-Überwachungsprogramm „Stellarwind“ anfangs so geheim, dass es von den Eingeweihten gar nicht gewinnbringend genutzt werden konnte und sogar die Mehrzahl der Richter am geheimen Spionagegericht FISC (Foreign Intelligence Surveillance Court) nichts davon wussten. Durchsuchungsbefehle, die auf Stellarwind basierten, wurden über einen einzelnen, informierten Richter abgewickelt.
2004 hatte der FBI überprüft, wie viele Tipps Stellarwind geliefert hatte: Nur 1,2 Prozent der gewonnenen Informationen hätten „einen signifikanten Anteil an der Identifizierung eines Terroristen oder an anderweitigen Erkenntnissen über Terrorismus gehabt“, so Heise.de. 2006 wurde gar kein hilfreicher Anhaltspunkt mehr gefunden.
Stellarwind basierte auf einer Verfügung von George W. Bush. Nach 9/11 hatte er der NSA erlaubt, internationale Telefonate von US-Bürgern abzuhören und Daten darüber zu sammeln. Das Überwachungsprogramm war nie wieder abgeschafft worden. (rf)
Quelle: SZ, Heise.de
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion